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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0239
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226

BESPRECHUNGEN.

20. Jahrhundert« erscheint (S. 96). Schlosser hatte das Glück, Schüler von Wickhoff
und von Sickel zu sein und das zu einer Zeit, wo die Kunstgeschichte noch kein
»Großbetrieb« war. Studium der historischen Hilfswissenschaften im Institut für
österreichische Geschichtsforschung war Pflicht des Schülers (S. 101). Exakte Philologie
und Quellenforschung waren Gebot der Lehrer und ihrer Zeit: »Die Hinneigung
Wickhoffs zum »exakten« Studium war tief in seiner geistigen Herkunft aus der
Jahrhundertmitte begründet« (S. 99). Wien wurde ein Vorort deutscher kunstgeschicht-
licher Forschung (S. 103). Mit einem Maß von Selbstkritik, wie es sich bei keinem
andern findet, schaut Schlosser auf Arbeiten zurück, die aus diesem gut geackerten
Boden gekommen waren: »... (ich) war Strömungen gefolgt, die für die kunstge-
schichtliche Forschung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnend waren.
Überall verschwindet das, was den Ausgangspunkt bildet, und worum es sich . . .
handelt, die individuelle Künstlerphysiognomie, das einzelne Kunstwerk ... die
Kritik des künstlerischen Werts selbst ist ausgeschaltet, oder nur in Rudimenten
vorhanden« (S .108). Das Aufsteigen einer neuen Welt- und Kunstanschauung am
Ende des 19. Jahrhunderts hat auch auf Schlosser gewirkt (S. 118). Seiner Art gemäß,
die am stärksten vom Individuell-Anschaulichen erregt wird (S. 96), tat sich ihm bei
der Beschäftigung mit der Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs von neuem das
alte Problem auf, das Problem der »Kunst«, ihrer Kritik und ihrer »Geschichte«,
wie aller »Historie« überhaupt <o. 120). Schlosser sucht »seit langem, auf Irr- und
Umwegen«, eine historische Ästhetik (S. 120) als Abschluß des Problems der Er-
kenntnistheorie aller Kunstgeschichte überhaupt (S. 106). Diese historische Ästhetik
— verstehe ich recht — läßt sich nicht kontinuierlich darstellen (S. 129); die gege-
bene literarische Form ist die Monographie und ihr Gegenstand sind die originalen,
schöpferischen Gestalten (S. 130).

Hierin begegnet sich Schlosser mit Tietze, der schreibt: »So scheint nun nach
Jahrzehnten überwiegender Bemühung um die Geschichte der Kunst eine Geschichte
der Künstler das dringendste Postulat zu sein . ..« (S. 196). Die nächste Phase der
Kunstgeschichte, glaubt er, wird im Zeichen eines wissenschaftlichen Heroenkultes
stehen. Es ist eine interessante Kongruenz, wenn auch Woermann, dessen Schicksal
es wurde, Handbücher der Kunstgeschichte zu schreiben (S. 209), der dabei gerne
sachlich jeden methodischen Gewinn aufnimmt oder doch jede methodische Wendung
zu verstehen sucht (S.226), von dem allenfallsigen Heraufkommen einer Kunstgeschichte
spricht, die die künstlerischen Persönlichkeiten und ihre Schöpfungen in den Vorder-
grund wieder rückt (S. 224). Tietze sieht in der geisteswissenschaftlichen Einstellung,
die an eine Wechselbedingtheit von Formalentwicklung und geistigem Geschehen
(S. 183) glaubt, nicht eine Absage an die entwicklungsgeschichtliche Auffassung,
sondern ihre folgerichtige und notwendige Ergänzung (S. 185). Sie bedeutet ihm ein
Zurücktreten zum Ganzen (S. 187), wie es die geistige Kontinuität allen menschlichen
Tuns fordert. Das Kunstwerk im besonderen ist »in jedem Augenblick der Ausdruck
verschiedener allgemeiner Bedürfnisse sowie verschiedener künstlerischer Probleme«
(S. 188). Im Kunstwerk spiegelt sich das gesamte geschichtliche Leben seiner Zeit.
Darin ist, so darf wohl der Gedanke erläutert werden — auch das Erbgut enthalten.
Aber mehr noch. Das Kunstwerk ist Teil dieses Lebens selbst. »In ihm setzt sich
das aus andern Geistesgebieten Zugeströmte nicht nur in diese bestimmte Form um,
sondern eben diese Form ist unabtrennbares Stück der Lebendigkeit, die sich wie
anderwärts auswirkt (S. 1S9). Bei näherem Eingehen auf die ganze Frage müßte
der Begriff Geistesgebiet« eine genauere Umgrenzung erfahren. »Geist« dürfte vor
allem nicht gleich »Idee« gesetzt werden. Sonst blieben Quellengebiete des Kunst-
werkes ausgeschlossen. Man denke nur daran, wie in unsren Tagen die Industrie
 
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