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RUDOLF KRIEGER.
einmal in die Höhe gerissen, sie erhält einen Gegenstoß, um im folgen-
den Vers wieder ungehemmt weiterzurollen. Der Wendepunkt der Ge-
dankenfolge ist durch Isolierung der entscheidenden Worte, die den
gedanklichen Kontrast hervorheben, bezeichnet, er ist im rhythmischen
Bild versinnlicht. Die isolierten Eintakter (seltener stehen dafür Zwei-
takter) hemmen den eilenden Strom des rhythmischen Ganges, sie sind
das »Widerstemmen im Geiste«, der »Moment des Besinnens«, wie es
in der zitierten Stelle heißt. In diesem Sinne üben sie eine »gegen-
rhythmische Funktion« aus. Handelt es sich dabei meist um Isolie-
rung der Worte, die einen Gegensatz zwischen Gedanken und Vorstel-
lungsreihen vermittelnx), so kann nach derselben Art der Isolierung
die Überleitung zum neuen Gedanken oder Bild durch ein bedeutungs-
volles Wort vollzogen werden, in dem ein wesentlicher sprachlicher
Träger des Gedankens großartig und eindringlich herausgehoben und
anschaulich gemacht wird. Der beste Beleg dafür ist die fünfte Strophe
des Rheins (H. 174, 61):
1 »Drum ist ein Jauchzen sein Wort,
Nicht liebt er, wie andere Kinder,
In Wikelbanden zu weinen;
Denn wo die Ufer zuerst
5 An die Seit ihm schleichen, die krummen,
Und durstig umwindend ihn,
Den Unbedachten, zu ziehn
Und wohl zu behüten begehren
Im eigenen Zahne, lachend
10 Zerreißt er die Schlangen und stürzt
Mit der Beut und wenn in der Eil'
Ein Größerer ihn nicht zähmt
Ihn wachsen läßt, wie der Bliz, muß er
Die Erde spalten, und wie Bezauberte fliehen
15 Die Wälder ihm nach und zusammensinkend die Berge.«
Selten hat ein anderes als ein Bindewort gegenrhythmische Funktion;
»lachend« in Vers Q der angeführten Strophen ist ein solcher Ausnahmefall.
Wohl aber wird das Hervorheben solcher Wörter, die für den ge-
danklichen Inhalt von Bedeutung sind, bei einer rhythmischen Stil-
eigenheit gebraucht, die als Abart der »gegenrhythmischen Funktion«
gelten kann und verschiedene Formen annimmt. Eine dieser Formen
haben wir in Vers 5 der genannten Strophe vor uns: »An die Seit ihm
schleichen, die krümmen.« Es handelt sich hier nicht um Wende-
punkte der gedanklichen Bewegung, um einen Wechsel der Vorstel-
lung, sondern um Heraushebung eines wichtigen Teils des Gedankens
selbst in einem Wort, das ihn besonders kennzeichnet. Hier wird in
') H. 15S, 11; 159, 32; 160, 62; 167, 17; 168, 45; 168, 51; 169, 60; 169, 72,
172, 21; 172, 27; 173, 47; 175, 101 u. a. m.
RUDOLF KRIEGER.
einmal in die Höhe gerissen, sie erhält einen Gegenstoß, um im folgen-
den Vers wieder ungehemmt weiterzurollen. Der Wendepunkt der Ge-
dankenfolge ist durch Isolierung der entscheidenden Worte, die den
gedanklichen Kontrast hervorheben, bezeichnet, er ist im rhythmischen
Bild versinnlicht. Die isolierten Eintakter (seltener stehen dafür Zwei-
takter) hemmen den eilenden Strom des rhythmischen Ganges, sie sind
das »Widerstemmen im Geiste«, der »Moment des Besinnens«, wie es
in der zitierten Stelle heißt. In diesem Sinne üben sie eine »gegen-
rhythmische Funktion« aus. Handelt es sich dabei meist um Isolie-
rung der Worte, die einen Gegensatz zwischen Gedanken und Vorstel-
lungsreihen vermittelnx), so kann nach derselben Art der Isolierung
die Überleitung zum neuen Gedanken oder Bild durch ein bedeutungs-
volles Wort vollzogen werden, in dem ein wesentlicher sprachlicher
Träger des Gedankens großartig und eindringlich herausgehoben und
anschaulich gemacht wird. Der beste Beleg dafür ist die fünfte Strophe
des Rheins (H. 174, 61):
1 »Drum ist ein Jauchzen sein Wort,
Nicht liebt er, wie andere Kinder,
In Wikelbanden zu weinen;
Denn wo die Ufer zuerst
5 An die Seit ihm schleichen, die krummen,
Und durstig umwindend ihn,
Den Unbedachten, zu ziehn
Und wohl zu behüten begehren
Im eigenen Zahne, lachend
10 Zerreißt er die Schlangen und stürzt
Mit der Beut und wenn in der Eil'
Ein Größerer ihn nicht zähmt
Ihn wachsen läßt, wie der Bliz, muß er
Die Erde spalten, und wie Bezauberte fliehen
15 Die Wälder ihm nach und zusammensinkend die Berge.«
Selten hat ein anderes als ein Bindewort gegenrhythmische Funktion;
»lachend« in Vers Q der angeführten Strophen ist ein solcher Ausnahmefall.
Wohl aber wird das Hervorheben solcher Wörter, die für den ge-
danklichen Inhalt von Bedeutung sind, bei einer rhythmischen Stil-
eigenheit gebraucht, die als Abart der »gegenrhythmischen Funktion«
gelten kann und verschiedene Formen annimmt. Eine dieser Formen
haben wir in Vers 5 der genannten Strophe vor uns: »An die Seit ihm
schleichen, die krümmen.« Es handelt sich hier nicht um Wende-
punkte der gedanklichen Bewegung, um einen Wechsel der Vorstel-
lung, sondern um Heraushebung eines wichtigen Teils des Gedankens
selbst in einem Wort, das ihn besonders kennzeichnet. Hier wird in
') H. 15S, 11; 159, 32; 160, 62; 167, 17; 168, 45; 168, 51; 169, 60; 169, 72,
172, 21; 172, 27; 173, 47; 175, 101 u. a. m.