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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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Krieger, Rudolf: Sprache und Rhythmus der späten Hymnen Hölderlins
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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0299
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RUDOLF KRIEGER.

am Platze; d. h. die Gestaltung einer Bild- oder Gedanken-Einheit, die
eine Strophe füllen soll, ist der Verszahl nach an eine gewisse Grenze
nach oben und unten gebunden. Innerhalb der Strophe aber bewegt
sich die Sprache meist »dialektisch« im Sinne der Kontrastsetzung, die
in der gegenrhythmischen Funktion des Wortes den klarsten Ausdruck
findet. So entstehen kleinere Versgruppen. Da aus diesem Grunde und
auch der Größe wegen — die Mindestzahl der Verse ist 8 — die Strophe
trotz der gedanklichen Einheit schwer als solche zu erkennen und zu
übersehen ist, so wird sie oft äußerlich gekennzeichnet. Das geschieht
durch die behandelten Arten der gedanklichen Abgrenzung im rhyth-
mischen Bild, durch Fehlen des Auftakts und durch die abschließende
Funktion des Wortes. Überall aber ist die gedankliche Einheit der
Strophe gewahrt, auch da, wo zwischen den Strophen Enjambement
eintritt. Dann bringt fast immer der Teil des Satzes, der in die folgende
Strophe übergreift, ein Kernwort des Gedankens, der das neue Thema
enthält. Hier spielt das Wort als retardierendes Element eine Rolle, wie
das behandelte Beispiel aus dem »Quell der Donau« (H. 160, 53) zeigte.

Also auch im strophischen Bau drängt der konstruktive Wille des
Dichters — trotz aller Ungebundenheit — zu gesetzmäßigem Ausdruck.

Das metrische Gerippe der späten Hymnen ist damit freigelegt: Ich
ging aus von dem Satz, daß im freien Rhythmus die rhythmische Gestal-
tung durch ihr besonderes Verhältnis zum gedanklichen Inhalt bestimmt
wird. Das heißt mit anderen Worten: im freien Rhythmus hat das
Gesetz der »inneren Form« eine besondere Bedeutung. Sie hat
zwei Ausdrucksmöglichkeiten. Einmal: die Form ergibt sich aus
der engsten Verbindung der rhythmischen Bewegung mit dem seelisch-
gedanklichen Inhalt; die Bewegung der Takte versinnlicht die Bewegung
des Gedankens. Diesen Weg ist Hölderlin im großen und ganzen
gegangen. Wenn man aber jene rhythmische Freiheit als Wesen des
»freien Rhythmus« angesehen hat, muß dagegen festgestellt werden,
daß damit noch lange keine vollständige Erkenntnis der »inneren Form«
freier Hymnik gegeben ist. Die metrische Gestaltungsart ist eine Frage
der »niederen Mathematik« und nur die eine Seite der »inneren Form«.
Die andere, nicht minder wichtige, ist die des tektonischen Baus, der
ebenfalls von dem gedanklichen Verlauf, wenn auch auf andere Art,
bestimmt werden kann. Hierher gehören auch Fragen der strophischen
Gestaltung. Bei Hölderlin — und nur bei ihm — wird der Rhythmus
zum Träger der inneren Form, derart, daß er die gedankliche Gliederung
der Hymnen in bestimmten, immer wiederkehrenden Bildungen ver-
sinnlicht. Es geschieht durch den Auftakt und durch die drei Funk-
tionen des Wortes, die wiederum untereinander verschiedene Formen
der gedanklichen Gliederung bedeuten. Ausgehend von der »dialektischen
 
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