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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0365
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BESPRECHUNGEN.

schaffen, auf dessen Höhe die Fragestellung erst einsetzt. Sie aber hat nicht etwa
hermeneutische oder assoziative Ziele, sondern eben die Erkenntnis der Individualität
des Kunstwerks. Diese aber scheint mir durch die Einheit des Bewußtseins ge-
fährdet. Ästhetik ist eine Weltanschauungsfrage und ihr Standpunkt undiskutierbar.
In dem Augenblick aber, in dem sie analysierend zur Anwendung gelangt und reale
Arbeit leistet, kann die Frage nach dem Ziel, der Zweckmäßigkeit und dem Ergebnis
gestellt werden. Aus dieser Lage entsprangen die hier ausgesprochenen Gedanken,
die nicht Urteile sein wollten, sondern allein Fragen, entstanden aus der Betrach-
tung einer von höchster Verantwortlichkeit getragenen, einsamen Forscherarbeit.
Berlin-Charlottenburg.

Hans Mersmann.

Fritz Cassirer, Beethoven und die Gestalt, ein Kommentar. Stuttgart,
Berlin und Leipzig, Deutsche Verlags-Anstalt.
Es ist kein Zufall, daß musikalische Analyse immer wieder auf Beethoven
zurückgreift, in ihm Ziel und Methode zu proben und zu festigen suchend. Gerade
Beethoven zwang neuere Musikästhetik von einer bestimmten Stelle aus immer
wieder zu sich: unter der Fülle der Erscheinungen zum Kern und zur Kraft vor-
zudringen. Ein Standpunkt ist in diesem Buch festgelegt, der Verheißung bedeutet:
Goethes Metamorphosenlehre, in Beethovens Instrumentalmusik Gestalt geworden.
»Gefordert wird: das Motiv sei nur mehr Stufe einer Verwandlung! Verboten wird
also: daß das Motiv sich mit anderen Motiven verbinde! Denn die Stufe — wie
sollte sie sich denn mit anderen Stufen verbinden? ... Sie wischt ihre Vorgängerin
fort, weil sie deren Verwandlung ist! Blüte dieser Knospe! Die Nachfolgerin, Frucht
dieser Blüte . . .«

Auch Cassirer entwickelt seine Methode. Freilich allzu knapp: er gibt Zeichen
für konstantes und variables Motiv, für Stufe und Satz, für Permutation, Inversion,
Spaltung, Abrundung, Entwicklungsrichtung. Er untersucht eine Auswahl von Werken,
beginnt mit der Eroika und endet mit den letzten Streichquartetten. Seine Analyse
besteht aus Zitaten, welche mit den eingangs erklärten Zeichen versehen werden
und durch kurze (allzukurze) aphoristische Überleitungen miteinander verbunden sind.

Es ist schwer, das Ergebnis dieses Buches positiv und negativ klar auszu-
sprechen. Daß die Methode trotz der Eigenwilligkeit ihrer Formulierung gerade bei
Beethoven ungeheuer tragfähig ist, dem soll freudig zugestimmt werden. Sie wurde
in musikästhetischen Arbeiten der letzten Zeit ja auch immer deutlicher in Angriff
genommen. Freilich ist sie an zwei Voraussetzungen gebunden: einmal, daß das
Objekt, das Kunstwerk ihr von innen heraus entspricht und außerdem: daß alle
Vorarbeit des Erkennens, Ordnung und Schichtung der Kräfte, Phrasierung und
Folge mit peinlicher Exaktheit erfüllt werde. An diesen beiden Stellen scheinen mir
die Schwächen des Buches zu liegen. Beethovens Entwicklung läßt mehrere, scharf
gegeneinander abgegrenzte Lagen erkennen und die Gegensätzlichkeit dieser Lagen
kommt in dem Formbiid des Kunstwerks unverkennbar zum Ausdruck. Herrlichstes
Beispiel für die Anwendung des hier bezeichneten Standpunkts: die Fünfte Sym-
phonie (aber gerade nicht ihr langsamer Satz, den der Verfasser — als einzigen! —
herauslöst). Aber diese innere Lage des Formbilds ist nicht nur vorher noch nicht
da, sondern wird auch nachher wieder preisgegeben. Und was bei der Eroika frucht-
barster Keim der Fragestellung erscheint, wird in der As-dur Sonate Opus 110 nur
von außen her anwendbar. Denn hier ist kein motivisches Wachstum, ist keine Ver-
wandlung, sondern ein Atmen in periodisch begrenzten, schwingenden Flächen.
Die Eroikaanalyse, die mir die fruchtbarste zu sein scheint, läßt viele innere
 
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