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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0375
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352

BESPRECHUNGEN.

der einen Seite und anderseits der entwickelten ästhetischen Systematik bisher nicht
verwirklicht und so den Anschluß an die Problematik der Geisteswissenschaften
überhaupt eigentlich nicht vollzogen hat. Und gerade sie könnte auch für jene in
ihrer derzeitigen Neustrukturierung Hervorragendes beitragen. Umso mehr ist es
zu begrüßen, daß das Hauptwerk der früheren Epoche Max Dvoräks, der das Erbe
Rieg!s angetreten hat, in einer würdigen und schönen Ausgabe mit reichem Bilder-
schatz (und hervorragenden Detailausschnitten) vom Verlage Piper uns sozusagen
neu geschenkt wird; denn es gab nicht viele, die zu dem Buche fanden, solange
es nur im Kunsthistorischen Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses, Jahrgang 1903,
Band II auf vergilbten Seiten und an entlegener Stelle abgedruckt war. Und es ist
wahr, das Buch geht uns heute mehr an als die Kunstforscher vor 22 Jahren: in-
zwischen sind nämlich die methodischen Fragen weit mehr in den Vordergrund
gerückt und unter der Marke: Krise des Historismus in aller Munde. Die metho-
dischen Fragen sind es, die dem Buche seine Bedeutung verleihen, während die
Entscheidung des Sachverhaltes, an dem sie entwickelt sind, wie sich Hubert und
Jan van Eyck in die Bilder des Genter Altares aufteilen, nur die allerengste Zunft
von Fachleuten angeht.

In den Riegischen Gedankenkreis muß das Buch eingestellt werden, das wurde
schon gesagt. Dieser hat die Idee eines stetigen im Formalen sich darstellenden
Entwicklungszusammenhanges der antik-abendländischen Kunst konzipiert, hat damit
die Vorstellung einer sich abschließenden Autonomie der Epochen Altertum, Mittel-
alter, Neuzeit zerstört und die klaffende Lücke zwischen Altertum und Mittelalter,
die man bis dahin annahm, überbrückt, indem er ein konsequentes und allmähliches
Abwandeln der antiken Formen aufwies. Die andere »Bruchstelle«, zwischen Mittel-
alter und Neuzeit, beseitigt Dvorak durch diese Untersuchungen, die den stilistischen
»Ort« der Kunst der Brüder van Eyck zu bestimmen suchen und sie, ohne dadurch
ihren individuell-schöpferischen Wert in Frage zu stellen, in die Linie der voran-
gehenden spätmittelalterlichen Entwicklung einstellen. Dieser Zug kann in der fran-
zösischen und weiterhin der italienischen Malerei um mehr als ein Jahrhundert zurück-
verfolgt werden bis zu einem Punkt, wohin die Antike in der Darstellung des Bild-
raums gekommen ist, der hier nach so langer Pause an der gleichen Stelle
wieder aufgenommen wird. Mithin gibt es eine einheitliche und zielbewußte Logik
im Aufbau der formalen Struktur der bildenden Kunst in der hellenisch - abend-
ländischen Welt! Ein eminent humanistischer Gedanke, wie man sieht.

Eine Vorstellung, die den scheinbar gesetzlos und aus subjektivem Erleben aller-
orten hervorschießenden Formenschatz in einer Perspektive zu umklammern vermag
und um die »Anarchie der Werte« noch herumkommt. — Dennoch dürfen wir nicht
verschweigen, daß für Dvorak selber diese Position in späterer Zeit nicht mehr zu
halten war und daß er, durch einen Wechsel seiner Gesinnung der Kunst gegen-
über überhaupt, die schönsten Ergebnisse dieser Arbeit wieder in Frage stellte.
Denn war es ihm im Jahre 1903 noch eine Selbstverständlichkeit, daß »eine Ent-
wicklung der formalen Darstellungsprobleme als eigentliches und wichtigstes Sub-
strat der Geschichte der Kunst' anzusehen sei, so hielt er 15 Jahre später (auf dem
Standpunkt, den der vorher ebenfalls bei Piper erschienene Band kleiner Aufsätze
»Kunstgeschichte und Geistesgeschichte« vertritt) dafür, daß die Gesinnung und
Welteinstellung das Entscheidende der Entwicklung wäre; dieses springt von Epoche
zu Epoche um, und es ist nicht anzugeben ob und inwieweit darin eine Ordnung
und innere Konsequenz, überhaupt ein durchgängig einheitliches Prinzip waltet.
Für unseren Fall ist da dann, von diesem neuen antihumanistischen Standpunkt aus,
zu sagen, daß das Unterschiedliche zwischen spätniittelalterlicheni Idealismus und
 
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