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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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Laurila, Kaarle Sanfrid: Der ästhetische Eindruck in seinem Verhältnis zu Lust und Unlust
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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0412
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DER ÄSTHET. EINDRUCK IN SEINEM VERHÄLTNIS ZU LUST U. UNLUST. 399

Die Bedenklichkeit des Lustdogmas. Zum Schluß muß noch
kurz darauf hingewiesen werden, warum es nötig ist, das ästhetische
Lustdogma so energisch und unerbittlich zu bekämpfen. Dieses Dogma
ist gefährlich und verderblich vor allem deshalb, weil dadurch die Be-
deutung des ästhetischen Lebensgebiets und besonders auch die der
Kunst ganz bedenklich herabgesetzt, verkümmert und entwürdigt wird.
Wenn man an der Forderung festhält, jeder ästhetische Eindruck müsse
lustvoll sein, dann wird die Kunst und das ganze ästhetische Verhal-
ten unfehlbar zu einer mehr oder weniger vornehmen oder auch un-
vornehmen Liebhaberei, die mit den eigentlichen Zielen und ernsten
und vitalsten Interessen des tätigen Lebens nichts oder jedenfalls
äußerst wenig zu tun hat. Faßt man dagegen das ästhetische Verhalten
so auf, daß es durchaus nicht immer ein lustvolles Verhalten, sondern
ein Gefühls verhalten im allgemeinen ist, ein Gefühlsverhalten, wobei
und wodurch wir die innerste Bedeutung des ganzen Daseins sowohl
nach ihren erfreulichen als auch und noch besonders nach ihren un-
erfreulichen und tief schmerzvollen Seiten fühlend unmittelbar erleben
und dieser Bedeutung somit auf die intimste und tiefste Weise inne-
werden, dann ist die Kunst und das ästhetische Verhalten eine bitter-
ernste und hochbedeutende Angelegenheit des Menschenlebens. Das
ästhetische Lebensgebiet stellt sich dann ebenbürtig an die Seite des
theoretischen und des praktischen Lebensgebiets und erfüllt im Men-
schenleben eine notwendige und hochwichtige Aufgabe. Diese Aufgabe
kann das ästhetische Verhalten aber nur dann erfüllen, wenn wir offen
anerkennen, daß es sich in der Kunst und auf dem ästhetischen Ge-
biet nicht allein um lustvolle Eindrücke handelt, und daß wir da nicht
bloß Lust suchen, sondern daß wir durch das ästhetische Verhalten
die Bedeutung des Seienden und des Menschendaseins in seiner vollen
Tiefe und auch in seinem bittersten Ernst fühlend unmittelbar erleben
wollen. Denn die tiefste Bedeutung des Seienden und des Menschen-
schicksals drückt sich am gehaltvollsten gerade in deren düsteren und
betrübenden Seiten aus. Diese schmerzvollen Eindrücke des Daseins
sind somit ein bitteres, aber gesundes Kraftgetränk, das uns gerade
am meisten stählt und vertieft. Schließt man diese schmerzvollen Ein-
drücke aus der Kunst und aus dem ästhetischen Verhalten aus, dann
kann das ästhetische Verhalten uns als Menschen innerlich nicht so
bereichern und vertiefen, wie es seine Aufgabe ist.
 
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