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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0472
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BESPRECHUNGEN.

45Q

er behandelt mit Tiefe und Feinsinn ein Problem, das in unserer sich aufs neue
zum Geist bekennenden Epoche wieder höchste Wichtigkeit erlangt hat. Der letzte
Aufsatz »Hölderlin und die Griechen« schildert, wie sich bei Hölderlin das deutsche
Nationalgefühl an dem Phantasiegebilde einer idealen Volksgemeinschaft bei den
Griechen entwickelt und verselbständigt. »Auf dem Umweg über Hellas ist Hölderlin
zum Deutschen geworden, ohne darüber den Griechen untreu zu werden.« Er ge-
hört zu jenen, die eine Synthese erstrebten zwischen klassischer Form und germa-
nischer Fülle, griechischer Klarheit und deutscher Tiefe. —

Der Titel dieser Aufsatzsammlung hat einen gewissen Symbolcharakter. Mit
seiner antithetisch-polaren Zweigliedrigkeit erinnert er an bezeichnende Werke einer
geisteswissenschaftlich orientierten Literaturforschung, wie sie z. B. durch Dilthey,
Cassirer, Walzel, Cysarz u. a. vertreten ist. Dieser Richtung wird man Petsch nicht
beizählen wollen. Dazu ist das rein Philologische zu wenig aufgehobenes Moment
in ihm; auch seine Methode, die die Synthese hinter historischer Enumeration und
Juxtaposition der Problemnuancen und der fortschreitenden Lösungen zurücktreten
läßt, ist eine andere. Das sei aber nur zur Klarstellung des Standpunktes vorge-
bracht, nicht im Sinn irgendwelcher Geringerwertung. Wir haben allen Grund, Petsch
für dieses ausgezeichnete und wertvolle Dokument seiner so fruchtbaren und viel-
seitigen Forschertätigkeit dankbar zu sein.

Von allergrößtem Interesse für den Leser dieser Zeitschrift ist die Einleitung,
die den wissenschaftlichen Werdegang des Verfassers schildert. Petsch hat dabei in
mehrfacher Hinsicht einen außerordentlich feinen Sinn für kommende Entwicklungs-
notwendigkeiten bekundet. Inmitten einer durchaus materialistischen Zeit erfüllt ihn
menschlich ein starkes religiöses Suchen. Als Wissenschaftler ist er schon früh von
dem literarhistorischen Positivismus der orthodoxen Schererkirche unbefriedigt, der
allen geistesgeschichtlichen, ja bloß systematischen Erörterungen aus dem Weg geht:
er verlangt nach geisteswissenschaftlicher Fundierung und philosophischer Vertiefung.
In unserer Zeit, die auf allen Gebieten die Philosophie in ihre alten Rechte und
Pflichten einrücken läßt, wo auch der Kunstphilosophie eine bedeutsame Renais-
sance beschieden war, ist es interessant, des Verfassers Bekenntnis zur Ästhetik zu
lesen. Von seinem Bekanntwerden mit Heinr. von Steins »Vorlesungen über Ästhetik«
sagt er: »Alir war es plötzlich, als ginge mir eine neue Welt auf, während tatsäch-
lich nur lange zurückgedrängte Neigungen wieder erwachten. Auf der Universität
hatte ich aus rein äußerlichen Gründen keine Gelegenheit gehabt, Vorlesungen über
den Gegenstand zu hören, der mir auch von fernher als dürr und unergiebig er-
scheinen mochte; nun las ich mit großer Begierde Steins .Entstehung der neueren
Ästhetik', lernte von ihm und seinem Lehrer Dilthey, dessen Abhandlungen mir
allmählich vertraut wurden, die engen Beziehungen zwischen ästhetischer und Lite-
raturwissenschaft kennen.» Bei seinen Studien über das Drama wird ihm die Not-
wendigkeit einer gegenseitigen Befruchtung der philologisch-geschichtlichen und der
ästhetisch-dramaturgischen Einstellung klar. Mit tiefer Dankbarkeit erinnert er sich
der ästhetischen Vorlesungen Oswald Külpes, die seinen bisherigen autodidaktischen
Studien den rechten Rückhalt gaben. — Fühlt sich Petsch dergestalt durch die
Ästhetik bereichert, so hat umgekehrt diese allen Grund, dem Herausgeber der
»Deutschen Dramaturgie«, von >Lessings Briefwechsel über das Trauerspiel«, von
Schillers philosophischen Schriften, dem Verfasser des »Deutschen Volksrätsels« usw.
für mannigfache Förderung dankbar zu sein.

Wien. Friedrich Kainz.
 
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