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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0474
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BESPRECHUNGEN.

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Dem gegenüber ist die in dem Aufsatz über expressionistische Kirchenkunst ange-
schlagene harte Tonart auffallend (z. v. S. 159 mit S. 68).

Aber etwas anderes fällt noch mehr auf: auf der einen Seite die durchgehende
Abneigung (S. 29, 38, 100, 130, 182) des Verfassers gegen »die Kunst der Nuancen,
die Pflege der Peripherie« (S. 104), gegen den Impressionismus, der »echt materia-
listisch eine Zusammensetzung von Leib und Seele im vollendeten Kunstwerk leugnet,
die Kunst also als eine Angelegenheit des Nerven- und Sinnenmenschen betrachtet«:
(S. 29); auf der anderen Seite die ablehnende Haltung gegenüber der Umformung
der Natur (S. 103, 161), der Umformung und Entwertung identische Begriffe zu sein
scheinen: »Die Natur wurde von van Gogh noch mehr entwertet als von Cezanne«.
Zum Beleg hierfür wird ein Wort von van Gogh ohne den Zusammenhang ge-
bracht (S. 36: »Ich wäre verzweifelt, wenn meine Figuren gut wären«). Die Kritik
an der expressionistischen Umformung der Natur kleidet sich sogar in das Gewand
der Theologie (S. 45). Und dann doch wieder die Berufung auf das Zeugnis der
altchristlichen Kunst, daß »die tiefsten und stärksten religiösen Wirkungen ausgehen
von Kunstwerken, die weit abliegen von Wirklichkeitstreue« und die Aufstellung des
Lehrsatzes: »Natur und Übernatur fordern verschiedene Symbole« (S. 71 f.). Dazu
noch die Frage: »Aber gehört es nicht zu den Paradoxien und Absonderlichkeiten
der menschlichen Geistesentwicklung, daß gerade die Kunst eines Norm-Menschen
über die Maßen langweilig wäre?« (S. 35, z. v. S. 109, 113). Das Schwankende,
von dem die Stellung des Verfassers zum Expressionismus doch nicht frei ist, so
sehr er in der Zeit des Erscheinens der betreffenden Aufsätze für das Neue ein-
treten wollte, wird auch bedingt sein durch die verschiedene Zeit und Situation, in
der er schrieb (z. v. S. 72 mit 151 f.). Daß der Expressionismus oder (ohne Fest-
legung auf ein Wort oder eine Richtung) das Neue in der Kunst nicht viele Meister-
werke hervorgebracht hat, ist zuzugeben. Und doch muß ich, während ich das
schreibe, an den starken Eindruck zurückdenken, mit dem ich im Wallraf-Richartz-
Museum in Köln aus dem Saal der neuen Kunst schied. Das Herz des Verfassers
gehört wohl der Gedankenkunst, wie sie etwa im 19. Jahrhundert Cornelius gewollt
hat. Der Verfasser schreibt einmal (S. 99 f.): »Gewiß, auch die Farbe ist uns will-
kommen; sie soll aber der großen Idee, dem zeugungskräftigen Gedanken dienen,
nicht herrschen. Das Physische der Kunst soll uns nicht in Fesseln schlagen, son-
dern sanft geleiten ins Metaphysische*. Warum wohl »sanft«? Das freilich ist nicht
die Weise des Expressionismus. Es soll sich aber hier letzten Endes nicht um den
Expressionismus handeln, sondern um die Lösung der Kunst aus der Naturgebunden-
heit als eine der Möglichkeiten künstlerischer Gestaltung. Gerade an dieser wich-
tigen Stelle scheint mir der Verfasser das Formprinzip, von dem er doch ausgeht,
vor der Zeit aufzugeben, vielleicht weil es für ihn doch zu sehr ein optisches ist.

Noch zwei weitere Punkte möchte ich anführen, in denen ich anderer Meinung
bin wie der Verfasser: einmal, wenn er so etwas wie die Volksverbundenheit als
ideale Norm für die Kunst aufstellt (S. 31). Der Idee einer Gemeinschaftskunst, wie
der Verfasser sie von der Zukunft wenigstens auf religiösem Boden erwarten möchte
(S. 167, z. v. S. 103, 161). oder wie sie in einem größeren Umfang noch O. Beyer
als Werk der Gemeinschaft fordert (Weltkunst S. S5 ff.), vermag ich durchaus bei-
zutreten. Aber den Begriff Volk so wie ich ihn im Buch des Verfassers finde, muß
ich zu den irieae facticiae rechnen, um mit Descartes zu reden. An einer Stelle
(S. 31) erscheint das Volk als »aufrichtig und ehrlich«, an anderer (S. 161) als aus-
gestattet mit einer angeborenen Unterscheidungsgabe für das, was einer religiösen
Gemeinschaftskunst frommt, an dritter (S. 156) als gläubige Volksseele. Aber dann
spaltet sich der Begriff Volk in das frömmere Volk, das nichts nach den gemalten
 
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