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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0480
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BESPRECHUNGEN.

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Er versteht dabei unter Steigerung »jede während eines geistigen Produktions Vor-
gangs sich vollziehende Umänderung, die bewußt oder unbewußt teleologisch orien-
tiert, eine Erhöhung, eine Intensivierung der erstrebten Wirkung zum Ziele hat«.
Er faßt also den Begriff Steigerung sehr weit, indem er dazu rechnet: jede Ver-
stärkung, Vergrößerung, Vervielfachung, Häufung, jede Kombination und Verschmel-
zung von Einzelzügen, die ein wirksameres Ganze ergibt, jede Art von Konzen-
tration und Zentralisation. Diese Steigerung kommt bereits im außerkünstlerischen
Leben vor, erhält jedoch in Kunst und Ästhetik eine besondere Bedeutung. Der
Verfasser gibt zunächst in einem allgemeinen, psychologischen Teil eine Analyse
und Deutung der Steigerungsphänomene im Seelenleben und führt dann seine Er-
gebnisse in literatur- und kunstwissenschaftlicher Spezialuntersuchung durch. Im
einzelnen unterscheidet er: inhaltliche und formale Steigerung, untersucht die Ansatz-
punkte und Verfahrungsweisen der Steigerung, gibt eine Einteilung nach dem Zeit-
punkt des Auftretens der Steigerungsvorgänge und untersucht die Objekte der Steige-
rung. Letztlich wird die Steigerung als Entwicklungsprinzip begriffen. Die trefflich
orientierte Arbeit ist ein wertvoller Schritt in der neuen Bewegung, die Literatur-
wissenschaft über die philologische Methode hinauszuführen und an Stelle eines
registrierenden und historisch rangierenden Positivismus eine tiefere psychologisch-
ästhetische Erfassung der Kunstwerke zu setzen. Vielleicht hätte die Untersuchung
noch weitere Perspektiven gewonnen, hätte der Verfasser sein Prinzip der Steige-
rung mit dem vielfach daneben wirksamen, konträren Prinzip der Ausgleichung
oder Harmonisierung kontrastiert, das in den meisten Kunstwerken eine allzu ein-
seitige Steigerung ausbalanciert und für jede Formgestaltung ebenfalls wesentlich
ist. Doch ist auch eine solche monographische Darstellung, wie sie der Verfasser
hier anstrebte, als solche fruchtbar genug, um seine Arbeit als wertvollen Beitrag
zur Literaturpsychologie schätzen zu lassen.

Berlin-Halensee. Richard Müller-Freienfels.

Robert HartI, Versuch einer psychologischen Grundlegung der
Dichtungsgattungen. (Deutsche Kultur. Wissenschaftliche Arbeiten von
der Universität Wien. Wien, Österreichischer Schulbücherverlag, 1924.)
Mit dem Durchdringen der psychologisch-ästhetischen Methode in der neuesten
Literaturwissenschaft wird das Problem der spezifischen Unterschiede der einzelnen
Dichtungsgattungen ein lebhaft diskutierter Gegenstand. Die vorliegende Arbeit ist
ein gehaltvoller Beitrag zur Lösung des Problems. Zwar läßt sich darüber streiten,
ob es gerechtfertigt war, die Lyrik auszuschalten, aber auch die hier allein heran-
gezogene Konfrontierung von Dramatik und Epik bietet interessante Probleme genug.
Zunächst wird die dramatische Handlung als ein von mächtiger Zielstrebigkeit ge-
tragenes Geschehen erklärt, das der Dramatiker durch Hervorhebung und Verstär-
kung der ihr entgegentretenden Hemmungen zu einer Kampf- oder Stauungshand-
lung von höchster Intensität zu gestalten weiß. Die dramatische Wirkung wird auf
motorische Erregung zurückgeführt und von hier aus die spezifisch dramatische
Form gedeutet. — Im Gegensatz zum Dramatischen wird die epische Wirkung auf
»Imagination« zurückgeführt, was durch mannigfache Zeugnisse über Schaffen und
Erleben epischer Dichter erhärtet wird. — Das epische Prinzip ist das der Erhaltung
der Ruhe, das in dem begebenheitlichen Geschehen, den inhaltlichen Elementen
des Epischen und dem willensschwachen Helden wirksam wird und die epische
Form bedingt. Dies Prinzip der epischen Ruhe wird aus dem epischen Schauerlebnis
abgeleitet. — Das Buch Hartls bringt auf jeden Fall eine Reihe interessanter Ge-
sichtspunkte, selbst wenn man der Meinung ist, daß eine solche extreme Kontrastie-
 
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