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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0488
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BESPRECHUNGEN.

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da zahlreiche Klopstocksche Oden oder Hölderlinsche Hymnen einbegriffen werden
könnten, ist unerfindlich. — Mit all diesen dargelegten Voraussetzungen hat der
Verfasser eine Anzahl von für ihn selbst unwiderleglichen Normen im Besitz, mit
denen er die Dichtung des psychologischen Realismus herabwerten, die des Natura-
lismus von Grund aus ablehnen kann und ästhetisch wie allgemein geistig in die »
Abwehr tritt gegen jedes materialistische Weltbild, gegen jede positivistisch-psycho-
logistische Haltung. — Man kann zweifeln, ob eine so heftige Abwehr des 19. Jahr-
hunderts heute noch notwendig ist; denn wirklich, es steht nicht, wie behauptet, die
Entscheidung zwischen Materialismus und Idealismus in unserer Literaturgeschichte
und ihrer Methode heute noch in Frage.

Alle diese Voraussetzungen einmal hingenommen, findet man in diesen Auf-
sätzen viel und vielerlei Brauchbares: Das Wichtigste, jene kleine Stilgeschichte der
neueren deutschen Dichtung, in der zum ersten Male versucht wird zu zeigen, wie
die Verwandlung des Weltbildes vom Barock bis zum Naturalismus den entspre-
chenden Stilwandel erzeugt, wobei freilich der Eindruck zurückbleibt, als wären all
diese Bestimmungen des Stiles aus allzu spärlicher Induktion gewonnen; eine Über-
schau auf die im Barock anwachsende und gegen Ende des 19. Jahrhunderts ab-
nehmende Problematik der deutschen Epik, eine Darstellung, die von der erwähnten
dogmatischen Einschränkung von Idee oder Problem oder Weltanschauung auf
alle idealistisch begründeten im Sinn und Wert selber eingeschränkt wird; fernerhin
Abhandlungen über Gryphius als den Dichter des Barock mit seiner Spannung von
Weltfreude und Jenseitsverlangen, über die Entwicklung der christlichen Erlösungs-
idee in den drei großen Romanen des Grimmelshausen, über Pestalozzis tragischen
Zwiespalt zwischen Aufklärung und individualistischem Naturalismus, über Goethes
Frömmigkeit im Wilhelm Meister, die da ausgedrückt ist in den Symbolen der
Mignon und des Harfners; über die großen Schweizer endlich, Jeremias Gotthelf
als Mystiker, Gottfried Kellers Natur- und Lebensfrömmigkeit, die zusammen mit
seiner Art und mit seinem Rang als Epiker und als ethisch-politischer Typus gegen
die Anklagen der literarischen Jugend verteidigt werden muß, über Meyers religiöse
Entwicklung von Calvin zu Pascal und schließlich: die älteste der vorliegenden
Arbeiten und durch Klarheit und bescheidene Gediegenheit gewinnendste über
Heinrich Leuthold, den Dichter vom Typus des Tasso, den Künstler um der Kunst
willen, der, dem Leben wie der geschichtlichen Bildung fremd, im Feuer seines
pathetischen Kunstidealismus verbrannt ist.

Göttingen. Kurt May.

Melitta Gerhard, Der deutsche Entwicklungsroman bis zu Goethes
-Wilhelm Meister-. Halle, Niemeyer, 1926. VIII, 175 S. (Deutsche Viertel-
jahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Buchreihe Bd. 9.)
Nicht eigentlich der- deutsche Entwicklungsroman bis zu Goethes »Wilhelm
Meister- ist Gegenstand der vorliegenden Schrift, als vielmehr einige typische Ge-
staltungen desselben. Die Verfasserin widmet Wolframs von Eschenbach »Parzival-,
Grimmelshausens -Simplizissimus-, Wielands • Agathon- und Goethes -Wilhelm
Meister- eingehende, aus gründlicher Sachkenntnis schöpfende Untersuchungen.
Feinsinnige Analyse dieser vier Werke, innerhalb deren auch wissenschaftliche Streit-
fragen verständnisvoll berührt werden, verbindet sich mit gelegentlichen geistes-
geschichtlichen Ausblicken zu einer Gesamtdarstellung, die die typischen Wand-
lungen des deutschen Entwicklungsromans wenigstens in großen Zügen treffend
erkennen läßt. Es ist in der Tat belangvoll genug, an den hier behandelten Bei-
spielen dargestellt zu sehen, wie verschieden die Entwicklung des Einzelnen in
 
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