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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0496
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BESPRECHUNGEN.

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hier, wo der Stoff den Verfasser mitreißt, eine beträchtliche Höhe der Anschaulich-
keit, Gebundenheit und Formkraft. Wir bekommen ein Bild der literarischen Strö-
mungen der Zeit, von den »Kritischen Waffengängen« an bis zu den Versuchen der
Gruppe von Haus Nyland und ihrer Gegner vom »Neuen Pathos« unter Paul Zech
und Gerrit Engelke. Dehmels Leben und Schaffen erhält ein besonderes Licht durch
den Hinweis auf seine Beziehungen zu der sozialistischen Bewegung, auf seine Be-
rührung mit den Brüdern Hart, auf die naturalistische Bewegung unter Holz, Schlaf,
Hauptmann usw. Die wichtigste Aufgabe war, die Gestalt Dehmels zu zeichnen, die
Gestalt des Mannes, der in das Leben tief genug hinein geschaut hatte, um die Wahr-
heit der Schopenhauerschen ewigen Sehnsucht ohne Ziel zu erkennen, der aber, wie
wenige unserer Zeit, den Spuren Hegels folgte und den Schluß zog: >Doch voll
von Sonnen steht die Welt« und »Leben heißt Lachen mit blutenden Wunden«; die
Aufgabe war, den heroisch-faustischen Kampf dieses Mannes um das ewige Gleich-
gewicht zwischen Ich und Welt, Natur und Geist, Tier und Gott, dieses Renaissance-
Streben zu gestalten — und diese Aufgabe hat Julius Bab mit dem Stoff, der ihm
zur Verfügung stand, in einer meisterhaften Weise gelöst. Wir erhalten von ihm die
Geschichte des Menschen Dehmel, der die ganze Welt haben wollte, die Welt, zu
der die Hölle als ein notwendiger Durchgang zum Himmel gehört. »Noch hat nie-
mand Gott erflogen, der vor Gottes Teufeln flüchtet«. In knappen, leidenschaftlichen
Sätzen wird von der Geburt des Kindes in Hermsdorf an bis zum Tode des Mannes
in Blankenese erzählt, von dem erstaunlich langsamen Werden und Wachsen des
Mannes und des Dichters, langsam »wie jene großen Tagraubvögel, die zum Fliegen
sich nur schwer vom Boden heben, aber wenn sie aufgestiegen frei und leicht und
sicher schweben« — ein Werden, das nicht die Entwicklung Goethes oder Kleists
aufzeigt, wenn auch mannigfache Einflüsse von Bedeutung werden sollten, vor allem
die Bedeutung Liliencrons für den Künstler Dehmel. Wir werden von dem Eintreten
der Frauen in Dehmels Leben unterrichtet; wie er als Student zwischen Scylla und
Charybdis herumirrte, aber selbst dann in seinen Lüsten »nach Seele dürstend wie
nach Blut<, den Weg von »dumpfer Sucht zu lichter Glut« vergeblich suchend, bis
die erlösende Liebe Paula Oppenheimers ihn rettete; wie das »Aber die Liebe« sein
Eheglück bedrohte, die daraus entstandenen Konflikte, durch die abwehrende Art der
zarten Hedwig Lachmann noch gesteigert, bis die endliche Harmonie der zweiten
Ehe eintrat, wo Natur und Geist Versöhnung fand, eine Harmonie, die, abgesehen
von einer vorübergehenden schwachen Störung, des Dichters ganzes Leben ver-
schönerte. Wir hören ferner, wie und warum Richard Dehme! in den Krieg zog, wie
er zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen schwebte. Immer wieder betont Bab
die Menschlichkeit Dehmels. »Nach allen Seiten greift diese große Güte der mensch-
lichen Seele um sich. Sie schafft eine Luft von Wärme, Sicherheit und hoher Klar-
heit um Dehmel her, die man wohl einmal geatmet haben muß, um zu verstehen,
daß dieser große Dichter doch noch viel größer war oder wenigstens wurde als irgend
eines seiner Werke.«

In engem Zusammenhang mit dieser Menschlichkeit steht Dehmels naturalisti-
scher Idealismus. Dieser Idealismus ist nicht der metaphysische eines Plato oder
Plotin, der erkenntnistheoretische eines Berkeley oder Kant, der logische eines Par-
Henides oder Bradley, und am wenigsten ist er der hinterweltliche Idealismus der
Romantik. Er unterscheidet sich von diesen und meidet den Schopenhauerschen Schluß,
der aus ihnen gezogen wurde, dadurch, daß er die Kluft zwischen Natur und Geist
durch eine harmonische Einheit ersetzt, in der die Natur die notwendige Grundlage
'st. Die Betonung der Begrenzung, des Maßes, die durch Kant und Goethe ihre klassi-
sche Formulierung fand, diese war dem jungen Dehmel nicht völlig eigen. Der junge
 
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