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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0499
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BESPRECHUNGEN.

sind. Aber warum? So steht »die Literatur zur Zeit Gustavs III. unter französischem
Gepräges Weiß Berendsohn nicht, wie stark der englische und dann der deutsche
Einfluß schon um diese Zeit einsetzt? Ein allgemeines Werturteil heißt, »die schwe-
dische Literatur sei undramatisch und vor allem untragisch«. Was bedeutet das?
Kann nicht ein Epiker oder ein Lyriker tragisch sein? Wie steht es um Balzac, der
wie ein Besessener schuf, nie zum Leben gelangte, nach dreimonatiger Ehe ver-
blutete? Und glaubt Berendsohn, daß der schwedische Nationallyriker Gustav Frö-
ding, erblich belastet und in Geisteskrankheit endend, weniger tragisch war und
wirkt als Strindberg? Herr Professor Berendsohn bedauert, daß Gundolf mit einer
bestimmten philosophischen Weltanschauung zu Werke geht, aber wie überlegen
ist seine weitsichtige Einstellung dieser Dogmatik gegenüber!

Mit der Gabe der ewigen Wiederholung, die dem Verfasser eigen ist, hebt er
die Bedeutung der »Weltanschauung« bei der Lagerlöf und überhaupt beim Dichten
hervor. Mindestens hundertmal spricht er von ihrer »dienstwilligen Hingabe an die
Sache der Menschheit«. Ohne Zweifel ist ihre Weltanschauung klar und ausgeprägt
in ihren Werken wie bei wenigen. Aber muß sie deshalb in ihrer »Dienstwilligkeit«
höher stehen als die armen »ichgebundenen« Poeten, die Herrn Berendsohn keine
Weltanschauung in den Briefkasten stecken können? Zu diesen schwarzen Raben
gehört nach Berendsohn vor allem Strindberg. Ich aber behaupte das Gegenteil:
Gerade der Ichdichter, der auf jede »Anschauung« pfeift, kann das Allerhöchste
leisten. Wo ist denn die ausgeprägte Anschauung bei Shakespeare? Er hat tausend,
während ein Strindberg vielleicht nur hundert erreicht.

Es ist ja nichts als seichte Dogmatik, nichts als pastorale Wertung wie in einer
Sonntagsschule. Noch schlimmer wird es, wenn der Verfasser mit dieser Dogmatik
große Werte über die Weltanschauungen verknüpft. »Es gibt zwei Weltanschauungs-
formen, die ältere ist die Jenseitsreligion, die in ihrer reinsten Form Hinwendung
zu Gott und Weltabkehr verlangt. Die jüngere ist die Diesseitsreligion, die rückhalt-
losen Dienst am Menschheitsbau in uns und um uns fordert.« Ist.dies mißverstande-
ner Nietzscheanismus, so gnade Gott dem Christentum! Als ob diese Religion nicht
den Dienst an der Menschheit gefordert hätte.

Aber es geht weiter: »Romantiker möchte ich all jene Menschen nennen, die
aus dem Weltbild der neuen Zeit heraus zurückflüchten wollen in die alte Welt-
anschauung. — Sie sind religiös stark bewegt, aber sie haben keine Religion.« Dies
ist die abschließende Ansicht Berendsohns von den Romantikern überhaupt. Ich
würde mich gar nicht wundern, wenn man so etwas in der Burensprache für afrika-
nisches Publikum schriebe, aber in der deutschen Sprache für Deutsche? Hatte ein
Novalis etwa keine Religion? Oder da von Schweden die Rede ist, wie ist Atter-
boms ganze Persönlichkeit und Dichtung zu deuten ohne sein tiefes Christentum?
Ich verlange ja nicht, daß jeder Strichs geistreiche Sprüche über Romantik lesen
soll, aber wohl kann man mit Walzels, Ricarda Huchs, Petersens Darstellungen
sich in das Problem der Romantik vertiefen. Berendsohn leugnet, daß Selma Lagerlöf
Romantikerin ist. Er ist hier wenigstens originell. Wir Schweden betrachten die
ganze Periode der neunziger Jahre als eine Art Nationalromantik, wir sehen in
Selma Lagerlöfs Lebensanschauung einen Abglanz der schwedischen Romantik, die
wie bei Atterbom und Geijer stark mit protestantischen Elementen durchsetzt war.
Und wir betrachten Gösta Berling als einen strahlenden Ritter der Romantik an
sich. Wir sind so frei. Bezeichnend, daß Berendsohn nichts Rechtes mit diesem Epos
anzufangen weiß.

Am längsten hält er sich auf bei der Hervorhebung der mündlichen Überliefe-
rung für die Dichtung der Lagerlöf und meint, er hätte hier die Lösung ihrer Ano-
 
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