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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 22.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.14168#0530
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BESPRECHUNGEN.

517

ich einige heraus, zu deren Besprechung der Platz mangelt: die menschenleere
Landschaft lasse auf ein »naturwissenschaftliches Weltbild«, das Abschneiden der
Gegenstände durch den Bildrand auf ein »unendliches Weltbild«- schließen. Die
überwiegend gerade Linie im »Louis XVI« und Kubismus deutet der Verfasser auf
Rationalismus, den gotischen Spitzbogen auf den Dualismus der Weltanschauung,
die Hellmalerei des 18. Jahrhunderts auf Optimismus. Mit Vorliebe bedient er sich
der Analogien z. B. Tiepolo-Leibnitz, Mengs-Kant usw.

Einen breiteren Raum nimmt die Erörterung der »Oval struktur« ein, welche der
Verfasser vornehmlich im Barock vertreten gefunden hat, und zwar nicht nur an
Fenstern, Kuppelgrundrissen usw., sondern auch, was ich nicht nachprüfen konnte,
in der Farbe der Bilder. Es wäre nun verdienstlich gewesen, dieser Orundfigur in
allen Epochen genauer nachzuspüren, die jeweiligen Ursachen festzustellen und von
da auf die allgemeinen Wurzeln im »Weltbild« zu kommen. Allein der Verfasser
sagt nichts weiter, als: Der Ovalismus bedeute Einheit, Geschlossenheit und finde
eine Analogie in der Souveränität der Monarchen. — Meines Wissens wird Einheit
durch jede einfache Grundfigur vertreten, sie ist sogar beim Kreis noch straffer, als
beim Oval. Das Oval des Barock ist gegenüber dem Kreis der Renaissance zunächst
eine Lockerung, eine rhythmische Bereicherung, ebenso wie das Rechteck der Gotik
gegenüber dem Quadrat der Romanik. Wo bleibt aber dann die gemeinsame Wurzel
im Weltbild für diese Ovalform und die Monarchie?

Eine zweite typische Struktur, die den Verfasser länger beschäftigt, ist die,
welche er als »polare Symmetrie«: bezeichnet hat. Als Grundfigur zeichnet er einen
einfachen Gegenschwung (Abb. 4), die S-form, und zwar als das Schema der mensch-
lichen Stehfigur mit Kontrapost. Sobald nun diese Figur in Baukunst, Ornamentik usw.
wiederkehrt, gilt sie ihm als ein »Spiegel« des aufrechtstehenden Menschen, woraus
er weiter folgert: »Von sich selbst nimmt der Mensch das Gestaltungsgesetz.« Auf
welchem Wege geht nun aber diese Naturerscheinung in die praktische Kunst über?
Ich habe über den vermutlichen natürlichen Ursprung des barocken Gegenschwunges
mich an anderer Stelle bereits ausgesprochen; eine direkte Beziehung zum mensch-
lichen Stehmotiv habe ich dabei aber nicht feststellen können. — Im erweiterten
Sinne bezeichnet der Verfasser als »polare« oder »verheimlichte Symmetrie« das
Prinzip, zwei ungleiche Bildhälften auszugleichen, und hält dasselbe für ein spezi-
fisches Mittel der Renaissance. — Zwei Bildhälften sind in der Regel ungleich und
können doch ästhetisch im Gleichgewicht sein, indem z. B. die Form und die Farbe
je verschieden, das Produkt Form mal Farbe aber beiderseits ästhetisch gleich ist.
Von dieser Gleichheit der Produkte ist die Symmetrie nur ein Sonderfall, nämlich
auch Gleichheit der Faktoren (mit Umkehrung); sie kommt in der Baukunst am
häufigsten vor. »Polare Symmetrie« für »Gleichgewicht« ist nichts, als ein verun-
glückter Terminus; von einer Sondereigenschaft der Renaissance kann keine Rede
sein, sie ist vielmehr etwas viel Allgemeineres, nur die Annäherung an die reine
Symmetrie ist in der Renaissance beliebt.

Ein drittes bevorzugtes Strukturproblem ist dem Verfasser die Perspektive. Das
Verfahren älterer Zeiten, Dinge verschiedenen Maßstabes, Dinge, die nacheinander
wahrgenommen werden usw. nebeneinander ins Bild zu bringen, nennt der Verfasser
»objektiv« und führt es auf eine objektive Weltanschauung zurück. Das Verfahren
der Zentralperspektive jedoch dient nach ihm dem »Anschein« und ist »subjektiv«.
— Als objektiv bezeichne ich eine Darstellung in umso höherem Grade, je besser
das Objekt in seinen Eigenschaften erfaßt werden kann. Diese Bedingung erfüllt
wohl am besten die farbige Plastik des Panoptikums; die Malerei mit ihrer Fläche
ist gezwungen, zentral zu projizieren, wodurch der Beschauer auf Grund seiner
 
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