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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 32.1938

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Müller-Freienfels, Richard: Das Überwirkliche in der Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14217#0136
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Das Überwirkliche in der Kunst

Von

Richard Müller-Freienfels

(Schluß)

III. Die Überwirklichkeit des „Erhabenen"

Kunst, so stellten wir fest, ist objektivierte Gestaltung einer Überwirk-
lichkeit, die der menschliche Geist unter ästhetischen Gesichtspunkten
ausbaut. Das Streben nach einer solchen ästhetisch erlebbaren Überwelt
entspringt einem Apriori des menschlichen Geistes, was dadurch erwiesen
wird, daß jeder Kulturkreis sich eine Kunst, eine ästhetische Überwelt
geschaffen hat. Das ist die allgemeinste Formel, zu der wir vordrangen. Im
einzelnen zwar, so sahen wir, ist in den verschiedenen Kulturkreisen je
nach rassischen, historischen und anderen Verhältnissen das Streben nach
ästhetischer Überwindung der Wirklichkeit verschieden, was wir an eini-
gen Beispielen zeigten. Daneben freilich konnten wir gewisse U r- Ty p e n
der ästhetischen Geistigkeit aufzeigen, die in den meisten Kulturen in ver-
wandter Weise wiederkehren, und die man als das Erhabene, das
Schöne, das Anmutige, das Komische usw. kennzeichnet und
als die Grundkategorien des Ästhetischen anzusehen hat.

Gehen wir genetisch, geschichtlich vor, so dürfen wir nicht mit dem
Begriff der „Schönheit" beginnen, wie sie sich speziell in der klassi-
schen Kunst der Griechen herausgebildet hat und die im Zusammen-
hang der gesamten Kunstentwicklung eine relativ späte Stufe ist. Ihr ging,
auch in Hellas, deutlicher nachweisbar aber noch bei anderen Völkern,
deren Frühkunst wir genauer kennen, eine Kunstbetätigung voraus, die
keineswegs „Schönheit" im klassischen Sinne erstrebt hat.

Einen besseren Schlüssel zur Erschließung der frühen Kunst, zu-
gleich aber auch für viele Werke späterer Kunst, bietet uns der in der
Ästhetik stets neben dem Schönheitsbegriff anerkannte Begriff des „Er-
habenen". Sprachlich ist dies Wort ein Partizipium zum mittelhoch-
deutschen „erheben", d. h. „in die Höhe heben" (Kluge), und deckt sich
insofern damit, daß wir in der Schaffung einer „Ü b e r w i r k 1 i c h k e i t"
das Wesen der Kunst sehen. Die Werke der Kunst sind erhaben, d. h.
herausgehoben aus der gewöhnlichen Wirklichkeit, und ihre seelische
 
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