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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Cremer, Franz Gerhard: Ein Rückblick auf die "moderne Kunst", [3]: in der internationalen Kunstausstellung zu Düsseldorf 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0036

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49

1905,

_ ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

50

die dem Volke verständlich war, die ihm zu
Herzen ging, und man fand sie! Man fand
sie aber nur im Anschlüsse an das Voran-
gegangene, also genau so, wie es stets ge-
wesen, wie es eben zu allen Zeiten und aller
Orten Brauch war. Denn:

„Jedem, der nach Wahrheit dürstet,
Quillt ihr Born auf allen Wegen"

sagt Weber, der uns gerade in dem erwähnten
Gesänge durch sein eigen Tun zeigt, wie nur
in pietätvoller Beachtung des Vorangegangenen,
nur bei sorgfältiger Inachtnahme der uns er-
haltenen Überlieferungen allein wahrhaft Großes
zu erreichen möglich bleibt. Es ist dies eine
Mahnung, der wir bei allen hervorragenden
Männern der verschiedensten Lebensstellungen
begegnen. Mit großer Bestimmtheit gibt diesem
Verlangen auch Ernst Curtius34b) Ausdruck:
„So ungeduldig der Geist nach Fortschritt
drängt, eine gesunde Fortentwicklung ist nicht
möglich, wenn wir das Vermächtnis des Alter-
tums von uns weisen . . . ." So sagte auch
noch am 28. Mai vorigen Jahres bei Gelegen-
heit der Privataudienz der Römischen Kiinstler-
zunft Papst Pius X.: „Per far cose nuove
bisogna ritornare all' antico." (Um Neues zu
schaffen, muß man auf die Antike zurück-
greifen.) Und Dr. Augustinus Egger,35) Bischof
von St. Gallen, sagt (S. 98): „. . . es liegt im
Geiste der katholischen Wissenschaft, daß sie
ihre eigene große Vergangenheit nicht ver-
leugnet, vielmehr sich an dieselbe anschließt,
nicht um eine Fortentwicklung nach rückwärts,
sondern nach vorwärts anzustreben. Der
wahre Fortschritt beruht darauf, daß
die Traditionen der Vergangenheit
und die Bedürfnisse der Gegenwart
in das richtige Verhältnis gebracht

Mb) »Die Kunst der Hellenen.« Rede an Schinkels
Geburtstag-, 13. März 1853. — Prof. v. Lenbach sagte
als I. Vorsitzender des Kongresses für Maltechnik im
Jahre 1893 zu München: ,,. . . Ein junges Geschlecht
ist herangewachsen, das in pietätlosem Dünkel den
großen Vorfahren nichts verdanken, aller Tradition
den Rücken kehren, die Kunst von vorne anfangen
will. Wer in der Wissenschaft oder im Handwerk
die Erfahrungen oder Erfindungen der Jahrtausende
ignorieren wollte, würde nicht nur einfach ausgelacht
und für einen Narren erklärt werden, sondern bei j
seinem törichten Eigensinn verhungern müssen . . ."
usf. — M. s. A. W. Keim »Über Maltechnik« (Leipzig
1903) S. 300 u.w.

*) »Zur Stellung des Katholizismus im 20. Jahr-
hundert.« (Freiburg im Breisgau 1902, Herdersche
Verlagshandlung.)

werden"; ähnlich äußert sich auch Dr. Justus
Brinckmann'1") über „japanische Kunst" (S. 14):
„. . . Wir begegnen hier aber den Wirkungen
einer sehr merkwürdigen Erscheinung im
Kunstleben der Japaner, einer Erscheinung, die
auf fast allen Gebieten, dem der Malerei
an erster Stelle, zutage tritt, und die dar-
auf beruht, daß beim Auftreten neuer Rich-
tungen die alten Richtungen nicht über Bord
geworfen werden, sondern unentwegt weiter
arbeiten . . ." Dies alles überrascht uns nicht,
weil es eben der natürliche Werdegang selbst
in den dunkelsten Tagen, worüber die Ge-
schichte berichtet, bis auf unsere Zeit gewesen
und geblieben ist. So schreibt Georg Hu-
mann37) bei Erwähnung einer Evangelienhand-
schrift des VIII. bis IX. Jahrh.: „In den Mi-
niaturen und Ornamenten der Handschrift
findet man merowingische, irisch-angelsächsi-
sche, römisch- und byzantinisch-altchristliche
und orientalische Elemente. Im allgemeinen
kann man behaupten, daß die künstlerische
Ausstattung von der sog. karolingischen Re-
naissance noch vollständig unbeeinflußt, den
Stilcharakter erkennen läßt, welcher den fränki-
schen Handschriften der Merowingerzeit eigen
ist." (S. 38.) „Bleibt aber ein solches Ringen
im Drange nach Fortentwicklung nicht wahr-
haft bewundernswert? Und lehrt es uns nicht
aufs deutlichste, was wir zu tun haben ? —
Wilhelm von Humboldt sagt darum auch zu-
treffend in seinem trefflichen Sonette „Hiero-
glyphen":

„Was so von Volk zu Volk sich geistig schlinget,
Ist überirdisch ew'ges Wahrheitquillen,
Abhängig nicht von dem, was Mensch vollbringet,
Stark durch sich selbst, der Zeiten Raum zu
füllen." —

Alle, die nun dem germanischen Element
seine berechtigte Sonderheit belassen und fort-
entwickeln möchten, sind daher Weber, der
seinen Vorgänger nennt, welcher ihm die Lyra
besaitet, ganz besonders verpflichtet.38)

Doch Gleiches, wie Weber bezeugt, er-
fahren auch wir, wenn wir den Klängen des

30) »Einführung in die altjapanische Kunst« —
Sammlung Oeder — von Dr. Justus Brinck-
mann, Direktor des Museums für Kunst und Ge-
werbe in Hamburg. (1902.)

37) »Die Kunstwerke der Münsterkirche zu Essen.«
(Verlag von L. Schwann in Düsseldorf, 1904.) Mit 72
Lichtdrucktafeln.

»8) M. s. »Dreizehnlinden«. XVII. Abschn. 13.
V. 12 bis 19.
 
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