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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Oidtmann, Heinrich: Die neue Fahne der St. Sebastianus-Bruderschaft zu Linnich
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Moeller, Ernst von: Die Augenbinde der Justitia, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0085

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141

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 5.

142

»sent merten und sent joeris" gewidmet, wei-
chen die „jungen" Schützen S. Antonii etS.Se-
bastiani, die nachweislich auf ein fortwährendes
Bestehen bis zum Jahre 1463, vielleicht noch
weiter, zurückblicken können, gemäß ihrem
1593 begonnenen neuen Schützenbuch gewisser-
maßen untergeordnet waren. Der Zusammen-
hang war ein so inniger, daß die „alden"
Schützen eine Art Gerichtsbarkeit über die
„jungen" ausübten.

Das Wappen des Jülicher Herzogs gilt dem
frommen Gedächtnis desjenigen Landesherrn,
welchem die Bruderschaft zur Zeit ihrer Grün-
dung satzungsmäßig zu dienen schuldig war.
Der preußische Adler ward zu Ehren seines der-
zeitigen rechtmäßigen Nachfolgers angebracht.

Die Zeichen der Kehrseite erklären sich
selbst; der Löwenkopf mit dem Wappenriemen
ist eine Anspielung auf eine örtliche Volkssage.

Auf Grund der treu bewahrten Überlieferun-
gen ward der altehrwürdigen Bruderschaft von
des Kaisers Majestät ein Fahnennagel mit dem
preußischen Adler nebst einer seidenen Schleife
in den Hohenzollernfarben verliehen, die letzte,
welche nach einer allerhöchsten Kabinettsorder
Schützenfahnen zuerkannt werden sollte. Bald
folgte Wilhelms II. mächtigster Bundesgenosse
mit Bayerns Wappennagel und einem wahr-
haft königlichen Geschenk, einem großartigen
blau und weißen, von schweren Goldquasten
begleiteten Fahnenband, dessen große Gold-
buchstaben in Fadenstickerei die Widmung
Sr. Königl. Hoheit des Prinzregenten Luitpold
von Bayern verkünden. Zweihundert Jahre

hindurch hatten die Linnicher Schützen den
Jülicher Kurfürsten aus dem erlauchten Hause
Witteisbach den Treueid geschworen. Und ein
schlichter Sohn des Jülicherlandes war in stür-
mischen Zeitläuften die Hauptstütze Bayerns,
der kaiserliche und kurbayerische Reiterführer
Johann von Werth. Außer diesen doppelten
Beziehungen verknüpft ein weiteres, noch leben-
diges Band die Stadt Linnich mit dem süd-
deutschen Königshause; es ist die goldene
Kette des nach der Schlacht bei Linnich 1444
gestifteten hohen Ordens vom hl. Hubertus.

Daß die Vaterstadt das Feldzeichen ihrer
alten Schutztruppe ehren würde, war selbstver-
ständlich ; ihr sowie des Verfassers Fahnennagel
sind getreue Nachbildungen alter Wappen-
siegel aus der ersten Hälfte des XV. Jahrh.
Ihre Form mit den abgerissenen Pergament-
streifen eignet sich vorzüglich zu diesem Zwecke
und dürfte hier wohl zum erstenmal verwendet
worden sein.

Bescheiden hinter den fürstlichen Auszeich-
nungen, hinter der städtischen Ehrung zurück-
stehend, krönt eine schlichte, altem Vorbild
nachgebildete Spitze von Stahl den Schaft
dieser in ihrer Art wohl einzig dastehenden
Fahne. Das kostbare Kunstwerk ist in der
Tat, was jede Fahne von jeher sein soll, ein
herrliches Wahrzeichen der Ehre, ein hehres
Sinnbild der Treue, der Treue gegen Gott, gegen
den Landesherrn, gegen die Vaterstadt und
gegen die Vorfahren für die Gegenwart und
für die Zukunft.

Linnich. H. Oidtmann.

III. (Schluß.)

,ie Augenbinde der Justitia ist in der
Zeit des Humanismus und der Re-
zeption des römischen Rechts in
Deutschland üblich geworden. Da
es sich um die Idee der Gerechtigkeit und
ihre Darstellung durch die Kunst handelt,
haben wir unsere Untersuchung auf die gelehrte
Forschung und auf die Rechtsentwicklung jener
Zeit auszudehnen. Wir fragen zunächst nach
der Einwirkung antiker Überlieferungen.
1.
Griechen und Römer haben genau so wenig
daran gedacht, der Gerechtigkeit die Augen zu
verbinden, wie die Deutschen und die anderen

Die Augenbinde der Justida.

Völker des Mittelalters. Die erhaltenen Dar-
stellungen und die sonstigen Nachrichten zeigen
im Gegenteil, daß die Alten der Themis, der
Dike, der Justitia besonders große, weit offene
Augen gaben. Die Archäologen sind sich
darüber längst völlig einig.45) Notizen wie
Chrysipps Angabe bei Gellius40) von dem

45) Böttiger, »Kunst-Mythologie«, II, p. 112;
Ramler in der »Monatsschrift der Akademie der
Künste zu Berlin«, I. (1788) p. 197; »Encyclopedie«
IX. (1773) p. 80; »Paulys Real-Enzyklopädie der
klassischen Altertums-Wissenschaft. Neue Bearbeitung,
herausgegeben von Wissowa. Neunter Halbband.
(1903) Sp. 574 ff., 577 f.: Waser, Dike; Chamber-
Iain, »Grundlagen« I8, p. 242.

if) Noctes Atticae XIV, 4. ed. Hovius (Teubner).
II. (1903) p. 117 f.
 
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