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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Schubring, Paul: Die kunsthistorische Ausstellung in Düsseldorf 1904, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0062

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Abhandlungen.

Die kunsthistorische Ausstellung in

Düsseldorf 1904.

v.

Die Madonna Strozzi von Filippino
Lippi, Sammlung Martius (Kat.-Nr. 244).

(Mit Abbildung, Tafel III.)

ilippino Lippis Madonnenbild,
das Professor Götz Martius
in Kiel besitzt, hatte unter
all den nordischen blitzsau-
beren und funkelnden Täfel-
chen, die rings umher hingen,
keinen leichten Stand. Fiel es einmal als ein-
ziges italienisches Madonnenbild überhaupt
auf, so konnten sich die auf deutsche und
niederländische Formen eingestellten Augen
der Besucher nicht gleich in die gänzlich anders-
artige Bildung finden, die ihnen Filippino auf-
drängte. Es ist eine alte Erfahrung, daß man
bei Museumsbesuchen nicht von den Altnieder-
ländern zu den Florentiner Quattrocentisten,
sondern umgekehrt wandern soll. Man erspart
sich auf diese Weise die Enttäuschung, die ein
Boecklin beispielsweise erlebte, als er von Ant-
werpen nach Florenz geführt wurde, als er von
der bunten gedrängten leuchtenden Fülle kleiner
Tafeln zu den verhaltenen Farben und großen
Formen der mächtigen Forentiner Altarbilder
kam. Wie diesem Künstler damals alle Bilder
am Arno schlecht gemalt und leer vorkamen,
ja fast charakterlos erschienen, so konnte auch
in Düsseldorf das Auge, das mitQuentin Massys
und Memling verwöhnt war, sich bei Filippino
zunächst nicht sättigen.

Und doch hatte dies Madonnenbild (83 X
62 cm) gerade in Düsseldorf sein besonderes
Recht und verriet eine heimliche Debatte zwi-
schen südlicher und nordischer Kunst am
eigenen Leibe. Das Bild muß nämlich ent-
standen sein, als in Florenz die Malerei des
Nordens zum erstenmal eindrang und sehr ent-
schieden einen Vergleich mit der einheimi-
schen Kunst herausfordeite.

Die Florentiner hatten, nachdem sie im
Trecento die dekorative Belebung der Flächen
mit feinstem Instinkt entwickelt hatten, im
Quattrocento alle diese kostbaren Eroberungen

über Bord geworfen und sich an ein resolutes
Erobern der Wirklichkeit gemacht, die einzu-
fangen wichtiger als Bildeinheit und Kom-
position schien. Die Plastik der Menschen-
gestalt, der Einfall kalkig hellen Lichtes, die Per-
spektive der Luft und Tiefe — das waren die
Probleme in der ersten Hälfte des Jahrhunderts.
„Nulla dies sine linea" hieß es damals, jeder Tag
brachte eine neue Eroberung. Dem kühlen Rä-
sonnement des Florentiners entsprechend waren
diese Entdeckungen mehr wissenschaftlicher,
optisch-mathematischer Art, als instinktiv-künst-
lerische Prozesse. Es fehlte nicht an Brutali-
täten, die man im Eifer des Gefechts sorglos
beging. Erst mit Botticelli tritt eine Reaktion
ein; dieser Meister der Linie griff zurück und
hinüber in die Trecento-Traditionen, und gab
einer Malweise neues Leben, deren Hauptziel
die harmonische Dekoration der Tafel war,
damit diese wie ein im höchsten Sinne ge-
ordnetes Muster einen zarteren Kosmos reprä-
sentiere. Kaum hatte Botticelli dieses neue
Programm verkündet, als eine andere Beun-
ruhigung die Florentiner überfiel, die aus dem
bisher sehr gering geschätzten Norden kam.

Es war Hugo van der Goes' großer herr-
licher Fortinari-Altar, der um 1475 in Florenz
eintraf und hier nicht nur Staunen, sondern
geradezu Verwirrung hervorrief. Gewiß vermißte
man vieles: die Melodie der Linie und das
große Erfassen der Form; die Plastik der
Körpersprache und die Architektur der Kom-
position. Aber dafür war hier ein Glanz des
Kolorits, eine Beherrschung des Details, eine
stoffliche Treue und eine Fülle der kleinen Bil-
dungen verschenkt, die alle Ehrlichen schlecht-
hin betroffen machte. Man ging unverdrossen
an eine Revision des eigenen Schaffens; nicht
um nachzuahmen — wann hätten die Floren-
tiner das nötig gehabt? — sondern beschämt
und belehrt eroberte man in neuem Sinne.

In dieser Meinung ist auch die MadonnaStrozzi
von Filippino entstanden. Der Künstler war
damals, um 1485, etwa 25 Jahre alt. Der Vater
war ihm allzu früh weggestorben, aber überall
hingen in den Kirchen und Klöstern dessen
Tafeln und Tabernakel, die der Sohn stolz
betrachtete. Botticelli half ihm dann die eigene
 
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