Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

DOI Artikel:
Schubring, Paul: Die kunsthistorische Ausstellung in Düsseldorf 1904, [9]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0130

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Abhandlungen.

Dle kunsthistorische Ausstellung in
Düsseldorf 1904.

D

IX.

er heilige Hieronymus von Marco
^°PPo, bei Freiherr von Brenken in Wewer
(Kat-Nr. 254).

_______(Mit Abbildung, Tafel VII.)

[ fM$n Süd und Nord, im XV.
Jahrh. so gut wie zu
Rembrandts Zeit ist das
Thema des heiligen Hiero-
nymus oft behandelt wor-
den. Es bot die verschie-
densten Auffassungen an.
Florenz feierte vor allem den Büßer der
Wüste, der in den Felsen einsam mit seinem
Löwen hauste und jeden Morgen vor dem
Kruzifix sich die Brust blutig schlug. Der
Norden dagegen ehrte gern den fleißigen La-
teiner, der in stiller Kemenate an der Vulgata
saß, während das zahme Königstier, auf der
Diele lagernd, sich wohlig die Sonne auf das
gelbe Fell scheinen ließ. Der Gegensatz des
Geschmackes, der sich in dieser Verschiedenheit
ausspricht, ist außerordentlich bezeichnend.
Denn der Südländer betont stets das Animalische,
Körperliche und sucht nach der Einheit zwischen
Mensch und Natur. Die deutsche Kunst da-
gegen legt auf geistige Arbeit den Nachdruck
und sichert den stillen Gelehrten gegen die
störende rauhe Natur. Andrea del Castagno
hat es einmal in S. Miniato bei Florenz so
dargestellt, daß der Löwe, der das Blut des
Büßers riecht, in Erregung gerät und zu brüllen
anfängt; welcher Gegensatz zu dem Friedens-
stübchen Dürers und seinem Sonnenspiel!

Nun muß aber in Florenz in den siebziger
Jahren des XV. Jahrh. ein nordisches Bild
in der Art des neapler Hieronymus oder ein
Kupferstich aufgetaucht sein, der den Männern
am Arno diesen nordisch empfundenen „Hiero-
nymus im Gehäus" nahe brachte. Zu unserer
Verwunderung sehen wir an der Wand der
Ognissanti in Florenz plötzlich, von Domenico
Ghirlandaio 1480 gemalt, den Stubengelehrten,
mit all dem Potpourri der gelehrten Zelle. Siena,
das dem Felsenmanne nie rechten Geschmack
abgewinnen konnte, beeilte sich, dem Beispiel
zu folgen; Matteo di Giovanni malte 1492 den
Heiligen.in gleichem Sinn. In Oberitalien war

schon im Trecento der „Mann in der Stube",
sei es Petrarca, sei es ein Dominikaner, beliebt
gewesen. Carpaccios bekanntes Studiobild in
S. Giorgio degli Schiavoni ist eine spätere Probe
des gleichen Geschmacks.

Aber diese nordische Auffassung hielt sich
in Florenz nicht. Kein Geringerer als Leonardo
war es, der mit seinem leider unvollendenten Hie-
ronymusbild noch vor 1482 Protest gegen den
Import einlegte. Er wollte nicht einen blassen
Stubengelehrten, sondern einen nackten Asketen,
der mehr handelte als schrieb. Auch in derPlastik
blieb selbstverständlich der Büßer das Thema.

Auch der Bolognese Marco Zoppo hat
seinen Hieronymus nicht als Kardinal, nicht als
Kirchenvater, nicht als Gelehrten, sondern als
Büßer dargestellt. Wir bilden, da eine Photo-
graphie des Bildes in Wewer fehlt, ein zweites
Exemplar ab, das Gustav Frizzoni in Mailand be-
sitzt und das, soweit wir nach dem Gedächtnis
urteilen können, mit dem in Düsseldorf ausgestell-
ten genau übereinstimmt. Marco Zoppo ist ge-
borener Bolognese; er muß aber früh, um 1460,
nach Padua gekommen sein, wo er bis 1470
etwa blieb; dann ging er nach Venedig. Er
türmt auf unserm wahrscheinlich in Padua
gemalten Hieronymusbild eine mächtige Felsen-
grotte auf, ähnlich dem seltsamen Felszahn,
den Mantegna im Bilde der Grottenmadonna
der Offizien vorführt. Die Steinformen sind
vom Licht lebhaft profiliert; vor dem dunkeln
Höhlenspalt steht das energische Profil des
Heiligen, dem der greise Bart bis auf die Brust
herabhängt. Der schwere Stoff seines vielge-
schlungenen Mantels bietet reichstes Formen-
spiel. Ungestüm ist der Kittel vor der Brust
aufgerissen ; schwer fallen die dumpfen Schläge
des Steins gegen die zuckende Brust. Das
Gesicht verrät Leidenschaft und bebt doch
krampfhaft zusammen. Mit grossen Augen
blickt das königliche Tier in den stillen Morgen.
Der Gekreuzigte ist hoch an dem kahlen Baum
angenagelt; dessen blattlose Äste stechen spitz
und melancholisch in die Luft. Es ist Char-
freitagsstimmung. Die Farben sind ungemein
lebhaft; hellrot und blau neben schmutzig brau-
nen Tönen. Später lernt der Künstler in Venedig
eine noch lichtere Skala, wie der große Altar
für Pesaro von 1471, heute in Berlin, beweist.

Berlin. Paul Schubri»jf.
 
Annotationen