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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Kisa, Anton Carel: Die gravierten Metallschüsseln des XII. und XIII. Jahrhunderts, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0132

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229

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST - Nr. 8.

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Dieselben Bezeichnungen, mit Ausnahme
von zweien, finden sich auf einer Kupferschüssel,
welche 1885 in Gent mit vier anderen gefunden
und von Bethune veröffentlicht worden ist.2)
Größe und Gestalt dieser Schüssel sind der
unseren ungefähr gleich, nur ist der Rand rund-
lich ausgebogen. Auch hier ist das Innere
graviert. Auf dem Boden sehen wir eine ähn-
liche weibliche Gestalt; Haltung und Tracht
sind dieselben, anstatt der Krone trägt sie
einen scheibenförmi-
gen Nimbus und an-
statt der Brode zwei
Bücher, das Alte und
das Neue Testament.
Zu Häupten ist A und
li aufgeschrieben. Wir
können sie als Ver-
körperung der Eccle-
sia oder Religio auf-
fassen. Den Rand
schmücken sechs weib-
liche Brustbilder, je 2
einander zugekehrt und
gleich der mittleren
GestaltmitKopfschleier
und Kreisnimben ver-
sehen. Ihnen entspre-
chendbeträgt auch die
Zahl der Zwischenornamente sechs und die der
Namen von Tugenden achtzehn. Zu den auf
unserer Schüssel genannten kommen noch hinzu:
Iniurbatio, iustitia, pietas, Providentia, ratio,
sanctitas (?), disciplina, conscientia. Zugleich
gewinnen wir durch den Vergleich größere
Klarheit über die Ornamentik jener. Auf dem
Genter Stücke ist nicht nur die Kreisumrah-
mung der Mittelfigur vervielfältigt und bis
dicht an diese herangezogen, es ist auch jede
der sechs Seitenfiguren durch Halbkreise um-
rahmt. Größere Halbkreise, deren Mittelpunkte
mit den Berührungspunkten der kleineren zu-
sammenfallen, ziehen sich um die zwischen
ihnen hervorwachsenden Blüten. Innerhalb
dieser Bogen sind die einzelnen Namen der

a) Bethune, »Les bassins liturgiques. Revue de
l'art chretien« IV, 5. 318f., Tafel XII. Zu der obigen
Beschreibung des Ornamentes vgl. Abb. 2.

Tugenden noch mit kleinen einfachen Kreis-
linien umrahmt. Dadurch werden die sonder-
baren Blütenformen und unmotivierten Unter-
brechungen der Blätter an der Wangemannschen
Schüssel erklärt. Das Kreissystem ergibt das
Schema der Rose mit sechs kleineren Innen-
und ebensoviel größeren Außenblättem, unter-
brochen durch eine innere und äußere Reihe
lanzettförmiger Deckblätter. Dieses Schema
ist frühromanischen Kelchpatenen3) entlehnt;
es findet sich beispielsweise auf der von Salz-
burg und der Bemwards-Patene im Weifen-
schatze. Diese zeigt in der Mitte, in Niello
gearbeitet, Christus als Lehrer der Welt auf
dem Regenbogen sitzend, mit wagerecht aus-
gebreiteten Armen.
Haltung und Gewan-
dung, namentlich das
Detail des über die
linke Schulter herab-
hängenden Mantels
sind bei der Mittelfigur
der gravierten Schüs-
seln wiederholt. Das
Mittelbild der Patene
ist von acht mit Blatt-
ornament gefüllten
Halbkreisen umgeben,
über welchen sich
ebensoviel größere er-
heben. In diesen wech-
seln mit den vier Evan-
gelistensymbolen vier
weibliche Brustbilder
mit Kopfschleier und Kreisnimbus ab, welche
Spruchbänder mit den Namen der Kardinaltugen-
den iustitia,prudentia, forlitudo und temperantia
halten. Es geht also auch der figürliche Schmuck
der Schüsseln auf Kelchpatenen zurück. Bei
der Vorliebe der romanischen Kunst für die
Farbe dürften die gravierten Linien ursprüng-
lich nielloartig mit Farbe eingerieben gewesen
sein. Der Verfertiger der Wangemannschen
Schüssel ließ das Rosenschema beiseite und
begnügte sich damit, nach einem besseren Exem-
plare die Figuren allein zu kopieren. Er hat
das künstlerische Leitmotiv der Darstellung
gar nicht verstanden. Daß er das Ornament
später beifügen wollte, ist höchst unwahrschein-
lich, weil er sich auf diese Art die Arbeit
unnötig erschwert hätte.

3) Fleury, »la messe« IV, J. 318, 327 u.a. —
Kraus, »Gesch. d. Christi. Kunst« lt/,471f.
 
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