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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Rahtgens, Hugo: Eine alte Abbildung von Gr. St. Martin in Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0190

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339

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

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seite; wenn der Zeichner aber korrekt sein
wollte, so hätte er die ehemals auf der Süd-
seite der Kirche dem Westturm sich kapellen-
artig anschließende kleine Brigittenkirche an-
deuten müssen, wodurch das Ebenmaß seines
Bildes zerstört wäre. Diesem Übelstande begeg-
nete er dadurch, daß er den Kreuzgang von der
Nordseite auf diese Seite übertrug.

Wir würden also ohne Bedenken die
Miniatur für ein wertvolles Dokument des
Baubestandes von St. Martin in Köln vor Hin-
zufügung des heutigen Chores erklären —
wenn nicht der eigentümliche Dachaufbau hin-
zukäme. Brück beschreibt ihn wie folgt
(S. 15): „Um einen schlanken Zentralturm
gruppieren sich sternförmig vier (drei nur
sichtbar zweigeschos-
sige, nach vorn spitz
zulaufende Giebelbau-
ten (?) und in die
F.cken zwischen je
zwei Giebelbauten und
dem Zentralturm sehen
wir schlanke dreige-
schossige kleinere
Rundtürme einge-
setz t." Brück ver-
gleicht diese Anlage
mit dem heutigen
Vierungsturm und sei-
nen Fußgiebeln, ohne
jedoch eine stichhal-
tige Erklärung für
die merkwürdige Ver-
bindung desselben mit
der Basilika der Abbildung zu geben.

Es handelt sich bei dem Dachbau jedoch
nicht nur um eine dem jetzigen Vierungsturm
sondern dem ganzen Dreikonchenchor
verwandte Anlage. Denn mit den rechts und
links neben dem Zentralturm sichtbaren An-
bauten sollen ohne Zweifel halbkreisförmige
Apsiden angedeutet sein; das folgt einmal aus
der zeichnerischen Verwandtschaft mit der Ost-
apsis der Abbildung, ferner aus der perspek-
tivischen Krümmung der Horizontalen. Schwe-
rer zu erklären ist allerdings der vordere ebenso
wie der Mittelturm übereck gestellte Anbau.
Er hat aber keine Giebel, sondern wird gleich-
falls wie der Mittelturm von pyramidal gestell-
ten Dachflächen bedeckt. Die Übereckstellung
ist nicht auffallend: Mit Vorliebe werden
Türme und Gebäude von älteren Miniaturisten

Abb. 3. Grundrigschema zum Dachbau der Miniatur auf
Abb. 2.

wahrscheinlich infolge mißverstandener Per-
spektive übereck gestellt, auch da, wo die
Wirklichkeit eine Frontansicht erforderte (vgl.
u. a. Swarzenski, »Regensburger Buchmalerei«,
Tat 25 No. 64 u. 66, Taf. 26 No. 69; Haseloff,
»Eine thüring.-sächsische Malerschule«, Taf. IX
Nr. 18; ein weiteres Beispiel aus dem Gebiete
der Wandmalerei: Clemen, Romanische Wand-
malereien d. Rheinlande, Taf. 8). Der Dach-
aufbau würde also auf das nebenstehende
Grundrißschema zurückzuführen sein (Abb. 3).
Man erkennt sofort die Verwandtschaft mit der
heutigen Choranlage und dem Viemngsturm
von Gr. St. Martin (Abb. 4), die zur völligen
Übereinstimmung wird, wenn man an Stelle
des auf der Miniatur unsichtbaren hinteren
Vierecks einen drit-
ten Halbkreis entspre-
chend einer dritten
Koncha annimmt. —
Diese kleeblattförmige
Choranlage von Gr.
St. Martin bildet aber
mit dem Vierungs-
turme eine geschlos-
sene Baumasse mit
konstruktiver Abhän-
gigkeit aller Teile von-
einander und ist, wie
oben gezeigt, nach dem
Brand vom J. 1185
dem älteren Bau an-
gefügt.

Wie ist nun aber
die merkwürdige Ver-
bindung dieses jüngeren Chorbaues mit dem
Baubestand des älteren Chores, den im übrigen
die Abbildung zeigt, zu erklären?

Die Annahme, die Abbildung sei vor dem
Brand des Jahres 1185 angefertigt, verbietet die
Hinzufügung eben dieses neuen Chors als Dach-
bau. Wenn der neue Chor aber bereits voll-
endet gewesen wäre, als der Zeichner die
Abbildung anfertigte, würde er ihn auch als
solchen dargestellt haben; das Bestreben, einen
alten Zustand auf Kosten eines neuen zu re-
konstruieren, lag dem Mittelalter fern. Nament-
lich in diesem Falle, wo es sich um eine so
glanzvolle Bauschöpfung handelte, lag für den
Zeichner kein Grund vor, den älteren dürf-
tigeren Chor wiederzugeben, wenn bereits der
neue an seine Stelle getreten wäre. Die beste
Lösung scheint mir die Annahme zu sein, daß die
 
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