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Zeitschrift für christliche Kunst — 18.1905

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Rahtgens, Hugo: Eine alte Abbildung von Gr. St. Martin in Köln
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https://doi.org/10.11588/diglit.4575#0191

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341

1905. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

342-



Mauern und Türme der Kirche beim Brande im
wesentlichen intakt blieben und das Gebäude
bald zum Gottesdienst wieder eingerichtet wurde,
so daß der Zeichner den alten Bestand wirklich
noch vor Augen hatte, wenn er damals die
Abbildung ausführte. Man wird freilich auch
wohl berücksichtigen müssen, daß der Mi-
niaturist zugunsten eines stattlichen Kirchen-
bildes etwa in Trümmer liegende Teile aus
dem Gedächtnis ergänzt haben könnte. Ich
möchte jedoch auf die Lücke aufmerksam
machen zwischen den Osttürmen bzw. zwischen
dem Langhaus und der Apsis (Abb. 2). Man
könnte sie als architektonisches Mißverständnis
deuten; sollte hier aber nicht etwa das fort-
gelassen sein, was beim Brande tatsächlich
eingestürzt war? —
Hauptsache ist jedoch,
daß die alte Apsis mit
ihren Flankierungstür-
men gezeichnet ist, was
immerhin zur An-
nahme berechtigt, daß

diese Bauteile den
Brand überdauert hat-
ten. In echt mittel-
alterlicher Naivität
komponierte nun der
Zeichner den neu pro-
jektierten Dreikon-
chenchor etwa nach
einem Riß oder Mo-
dell auf das Dach der
Kirche. Einem Modell ähnlich erscheint der
Dachbau auch deshalb, weil er sich auf einer tafel-
förmigen Unterlage als besonderer Bau erhebt.
Auffallend bleibt freilich immer der recht-
eckige, auf der Miniatur übereck gestellte An-
bau; vielleicht war an dieser Stelle auf dem
Modell das Langhaus in reduzierter Form ange-
deutet. — So widersinnig für unser Empfinden die
Kombination der alten Kirche mit dem neuen
Chor auf ihrem Dach auch ist, so sind der-
artige Verschmelzungen heterogenster Dinge der
mittelalterlichen Miniaturmalerei doch nicht
fremd (vgl. Vöge, »Eine deutsche Malerschule«
S. 340). Wenn hiernach aber erwiesen sein
dürfte, daß unsere Miniatur die Kirche
Gr. St. Martin kurz vor oder zu Beginn
der Ausführung des heutigen Chorbaus dar-
stellt, so liefert sie ihrerseits einen weiteren
Beleg dafür, daß dieser nicht nach dem Brand
von 1150 sondern nach dem von 1185 erbaut

Abb. 4.

ist; denn der Charakter der fein und sicher
gezeichneten Figuren, in denen schon indivi-
duelle Belebung zu erkennen ist, spricht nicht
für die Mitte sondern für das Ende des XII. Jahrh.
Das Gleiche gilt von den Initialen (vgl. den
Initial A auf Sp. 329) und vom paläographischerv
Charakter des Kodex.

Liefert somit der Kodex einen interessanten
Beitrag für die Baugeschichte von Gr. St. Martin,
so bildet er auch eine wertvolle Bereicherung
für die Geschichte der Kölner Malerei. Außer
dem Widmungsblatt enthält er noch auf der
folgenden Seite ein Vollbild: der thronende
Christus mit der Weltkugel zu seinen Füßen,
noch ganz dem alten Typus der Majestät
Domini folgend, in den Ecken die vier
Evangelistensymbole.
Die lediglich zeichne-
risch behandelten Fi-
guren sind in kräftigen,
sicheren Linien mit
feiner roter Innenzeich-
nung ausgeführt und
stehen auf blauem,

grün umrahmtem
Grunde. An künstle-
rischem Gehalt und ge-
diegener Technik ge-
hören diese Miniaturen
zu den besten ihrer
Zeit. AufgleicherHöhe
zeichnerischer Sicher-
heit stehen die Orna-

Chorgrundrig von Gr. S. Martin in Höhe des
Vierungsturmes.

mentinitialen; sie sind in roter Federzeichnung aus-
geführt, nur der erste ist mit Deckfarben bemalt.
Erwähnt sei noch, daß der untere Einband-
deckel inwendig mit einer älteren Kanonstafel
in Form einer von einem gemeinsamen Bogen
überspannten Doppelarkade beklebt ist. Die
Bögen ruhen auf Pfeilern, deren Basen aus
phantastischen Bildungen mit Tierköpfen be-
stehen, die Kapitelle sind klotzartig. Den äuße-
ren Bogen, die Pfeiler und Kapitelle bedeckt
ein aus sauber gezeichneten, verschlungenen
Bändern und Tieren gebildetes Ornament, das
noch ganz der irischen Schule des VIII. und
IX. Jahrh. entspricht. — Robert Brück gebührt
für die wissenschaftliche Entdeckung dieser für
die Kölner Kunstgeschichteso wertvollen Hand-
schrift volle Anerkennung. Leider ist nichts über
Zeit und Umstände bekannt, die sie ihrem ur-
sprünglichen Bestimmungsort entfremdeten.
Köln. Hugo Rahtgens.
 
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