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Zeitschrift für christliche Kunst — 27.1914

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Witte, Fritz: Talmi gegen Gold: Über schlechte u. echte Metallkunst im Dienste der Kirche
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https://doi.org/10.11588/diglit.4362#0015

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4 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 1/2.

ständen kirchlicher Metallkunst dar; wollen wir ehrlich sein, so müssen wir sogar
den Löwenanteil an dem Gesamtbesitz frühmittelalterlicher Metallarbeiten der
kirchlichen Kunst zuweisen. Das war die providentielle Beglückung für diese
Kunst, daß mit dem steten Wachsen der christlichen Kirche das Bedürfnis nach
metallischen Gebrauchsgegenständen gleichen Schritt hielt, und die Vertiefung
der christlichen Religion steigerte die Lust zum Geben an die Kirche zeitweilig
derart, daß die kirchlichen Schatzkammern wahre Gold- und Kunstspeicher wur-
den. An der Fülle der Aufträge mußte auch das Können der Goldschmiede
wachsen, geleitet einmal von dem nationalen Empfinden, dann auch von fremden
Einflüssen, derer ein junges, in den ersten Stadien der Entwicklung befindliches
Volk niemals entraten kann. Immer wieder sehen wir in der mittelalterlichen Gold-
schmiedekunst unserer deutschen Heimat den interessanten Prozeß sich abwickeln,
der Aufpfropfung eines fremden Reises und des allmählichen Ausreifens einer am
Ende ganz nationalen Kunst. So in der Zeit der Ottonen, der romanischen, der
gotischen Epoche. Wenn wir in einigen Worten die Charakteristika der hinter uns
hegenden Perioden zeichnen wollen, so können wir das nicht besser als durch die
Bezeichnungen transzendental, malerisch, architektonisch. Für uns heute ist es
immens wichtig, die Absichten und Ziele der verschiedenen Stilepochen festzu-
legen, anderenfalls fehlt uns die Möglichkeit, den Grund für die jeweilige Ge-
schmacksänderung seit den Zeiten des Eklektizismus des verflossenen Jahrhunderts
zu erfassen. Denn für so barbarisch und zugleich sklavisch historisch denkend
allein dürfen wir die hinter uns liegenden Jahrzehnte doch nicht halten, daß sie
ganz ohne jeden Trieb von innen heraus, allein nach willkürlicher Wahl von einem
Stil zum anderen griffen; immerhin waren ähnliche Anschauungen und Bedürf-
nisse, wie die der historischen Stile, die mitbestimmenden Faktoren.

Wenn irgendwo in der Geschichte der kirchlichen Kunst, so haben wir über
die Werke der Goldschmiede ebenso ehrlich wie rückhaltlos zu Gericht zu sitzen
und nach erlaubt und unerlaubt zu fragen, denn gerade hier stoßen wir auf dutzen-
derlei Venrrungen, denen wir keinesfalls noch einmal anheimfallen dürfen. Zweck-
mäßigkeit und Materialgerechtigkeit sind längst nicht überall in der alten Metall-
kunst zu finden, und wo wir sie vermissen, da schränkt sich eben der erzieherische,
bildende Wert der Arbeiten ganz von selbst ein. Überaus interessant ist es, eines
der kirchlichen Metallgeräte herauszugreifen, etwa das vornehmste, den Kelch,
und an ihm den Wandel der künstlerischen Auffassung zu verfolgen.

Die frühchristliche Periode hat höchstwahrscheinlich als eigentlichen Kelch
zur Kommunion eines einfachen kumenförmigen Behälters sich bedient und den
großen gehenkelten Kelch als Speise- oder Sammelkelch benutzt. Der frühmittel-
alterliche Kelch von Gourdon hat ganz geringe Dimensionen und ist trotzdem mit
Henkeln versehen. Als eigentlicher Zelebrations- und Trinkkelch bietet er durch
seinen Randschmuck schon Zeichen der Unzweckmäßigkeit und ist ein Reprä-
sentant einer Zeit, die über dem prunkhaften Schmuck des praktischen Zweckes
vergaß. Wir besitzen zu wenige Anhaltspunkte, um über die Merowinger- und
Karolingerzeit ein abschließendes Urteil fällen zu können.

Immerhin weisen die uns erhaltenen Objekte auf ein ausgeprägtes malerisches
Empfinden der Zeit hin, und die bevorzugten Techniken sind die, welche eben
diesem Bedürfnis am meisten entgegenkommen. Wichtig ist, daß die frühroma-
nische Kunst über dem Streben nach koloristischen Wirkungen der eigentlichen
Aufgaben und Vorzüge des Metalles nicht vergaß und im Kern wenigstens die
 
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