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Zeitschrift für christliche Kunst — 27.1914

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Witte, Fritz: Aphorismen über religiöse Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4362#0047

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Nr. 3. ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. 33

APHORISMEN
ÜBER RELIGIÖSE KUNST.

Mit 1 Farbentafel u. 3 Abbildungen.

Das Wort „religiös" sei hier zu Anfang nachdrücklichst unterstrichen, denn
von dieser, nicht von kirchlicher Kunst soll hier die Rede sein. Ich glaube,
ein Revisionsgang durch die christlichen Familien, die noch Wert darauf
legen, religiöse Bilder in ihren Wohnungen zu haben, würde drei Klassen er-
geben : Die erste, welche die umfaßt, welche gute echte Kunst haben wollen
und mangels neuzeitlicher brauchbarer Bilder zu Reproduktionen fast ausschließ-
lich alter Meister greifen, wie sie in vorzüglicher Qualität heute genügend feil-
geboten werden; eine zweite, die mit billigen und schlechten Vervielfältigungen
alter bedeutender Gemälde usf. sich begnügt, und schließlich eine dritte Klasse,
die wahllos und planlos oder sogar aus purer Geschmacksverirrung zur brutalen
Kolportageware greift und damit ihre Wohnungen verschandelt. Jeder suche sich
ehrlich selbst sein Plätzchen unter diesen Kategorien!

Mir äußerte sich unlängst ein feinsinniger katholischer Akademiker, es sei
ein Jammer, daß wir so wenig wirklich fürs Haus ex pnncipio hergestellte
religiöse Kunst haben; er hat wahrhaftig recht. Ich leugne nicht, daß wir von unse-
ren modernen religiösen Meistern von Ruf einige sehr annehmbare Wiedergaben
ihrer Arbeiten in den letzten Jahren bekommen haben; aber ich stehe auch nicht
an, ihnen durchweg die Brauchbarkeit für die Familienzimmer zu bestreiten. Es
sind einmal vielfach Reproduktionen nach Gemälden, die für Kirchen gemalt
wurden, mit monumentaler Auffassung, mit dementsprechendem Aufbau, und
darum längst nicht ohne weiteres geeignet, in ein minutiöses Format gebracht zu
werden. Ein andermal sind es Nachbildungen von Arbeiten, die zumeist im Auf-
trage von Verlagsfirmen von irgendeinem Bildchenmaler dritten oder vierten
Ranges auf das „Bedürfnis der Käufer" zugeschnitten wurden. Von einem reli-
giösen Erlebnis kann da kaum die Rede sein, arme Mache haben wir vor uns.
Ausnahmen bestätigen auch hier einzig die Regel — ich erinnere an Schiestls
Bilder.

Was uns fehlt, das sind Bilder solcher Künstler, die auf den Standpunkt unserer
christlichen Familien sich zu stellen vermögen, die sich gewissermaßen eigene
religiöse Empfindungen von der Seele malen und dadurch ganz von selbst auch
durch ihre Arbeiten bei anderen Menschen verwandte Saiten treffen. Das nenne
ich dann Volkston, und zwar einen Volkston, der nicht nur dort anschlägt, wo
absolute Unkultur herrscht und erschreckende Verbildung des Geschmackes, als
vielmehr auch im Gemüte des gebildeten Menschen, der von „Volkskunst" in
dem Sinne der Kolporteure und Warenhäuser angeekelt wird. Glaubt denn ein
Mensch ernstlich, daß die lieben alten Weisen aus dem Leben des Heilandes und
der Heiligen, namentlich der Gottesmutter, vollkommen verklungen und in unserer
modernen, zum Teil recht nüchternen Zeit nicht mehr gehört würden? 0 nein!
Eine ganz elementare Gewalt wohnt ihnen auch heute noch inne, latent, gebunden,
aber leicht zu entfalten und zur Wirkung zu bringen. Wer es sehen und fühlen
will, wie tief der Hang zu religiösen Erhebungen auch heute noch im ungebildeten
wie gebildeten Christen wurzelt, der bemühe sich in die Fastenpredigten, in die
Maiandachten, er besuche die Messen mit Volksgesang an Weihnacht und Ostern;
 
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