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Zeitschrift für christliche Kunst — 27.1914

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Witte, Fritz: Talmi gegen Gold: Über schlechte u. echte Metallkunst im Dienste der Kirche
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https://doi.org/10.11588/diglit.4362#0019

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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 1/2.

tage, dessen Nodus die bereits erwähnten Vogelnester aufweist, die ein Zugreifen
der Hand ohne unangenehme Belästigung einfachhin unmöglich machen. Dahin
führt das Ausgehen der Metallkunst vom Prinzip des Schmuckes, bevor das der
Brauchbarkeit, der Zweckmäßigkeit befragt ist. Die zu starke architektonische
Beeinflussung nahm dem bedeutsamen Kunstzweige weiterhin nach mancher
Richtung die so notwendige Freiheit, indem die Goldschmiedearbeiten mit den
Werken der Architektur vielfach auf die gleiche Stufe und ihnen Aufgaben gestellt
wurden, die rein gar nichts mit ihr zu tun haben, ihr sogar direkt widersprechen.
Ehrlich geurteilt, muß uns die gotische Idealmonstranz in Turmform mit ihren
Türmen und Türmchen, den Dutzenden Fialen, mit Wimpergen, Baldachinen
und Arkaden als ein Kunosum, wenn nicht gar als ein Monstrum erscheinen,
denn ihr Aufbau ist dem, was wir Begriff des Metallischen nennen, direkt entgegen-
gesetzt (Abb. 6). Sehen wir von einzelnen, der jeweiligen Laune und dem künstle-
rischen Darstellungsbedürfnis entsprungenen matenalechten Zutaten, wie getriebe-
nem Laubwerk, Rosetten und plastischen Figürchen, ab, so haben wir in den goti-
schen Turmmonstranzen eine rechte und schlechte Klempner- und Lötarbeit vor uns,
an der leibhaftig nicht viel mehr als gegossene, mit der Feile überarbeitete Türme
und Bögen und Streben aneinandergesetzt sind, ohne daß irgendwo eine wirklich
unter dem sensiblen Druck einer Künstlerhand entstandene Arbeit zu finden wäre.
Mechanismus und Schema trotz der ausgeklügelten statischen Berechnung, die
bei diesen Turmbauten in Metall so gut stimmen mag wie bei den Kölner Dom-
türmen. Es verschlägt nicht viel, daß die eine Monstranz 20, die zweite aber 50
Fialen und 10 Figürchen unter Arkaturen aufweist, im Grunde langweilen wir
modernen Menschen uns überall dort, wo uns beim sogenannten Kunstwerk die
kühle und kühne Berechnung entgegentritt ohne jede dem Empfinden entsprungene
Ausbiegung. Manche dieser hohen Monstranzen löst bei uns das Bedauern aus
darüber, daß der so oft elegante Aufbau und die wohlabgewogene glänzende Pro-
portionierungsich in die Zwangsjacke starrer, unbiegsamer Gußmasse pressen lassen
muß. Das Wort unbiegsam sollte man hier nachdrücklichst unterstreichen,
sein Begriff stellt tatsächlich in den Geräten der Gotik Metall und Stein auf die
gleiche Stufe, widersinnig genug, aber tausendfach zu beobachten.

Es soll hier keineswegs einfachhin der Stab gebrochen werden über alles das,
was das XIV. und XV. Jahrhundert uns überliefert haben, gern gestehen wir zu, daß
sichtlich der Künstlergenius begabter Meister an den Fesseln zerrt, in welche die
Anschauung seiner Zeit ihn geschlagen, daß auch mancher Meister unter dem
Drucke der Tradition Arbeiten geschaffen hat, die nicht nur künstlich, sondern
auch künstlerisch sind. Als auf ein sprechendes Beispiel sei hier auf die Riesen-
kustodia in Toledo hingewiesen, die von einem rheinischen Goldschmiede Arphe
hergestellt wurde. Bei einer Restaurationsarbeit im Jahre 1595 stellte sich heraus,
daß sie aus 7000 Einzelteilen besteht, die durch 12 500 Schräubchen zusammen-
gehalten werden. Die Architekturen sind hier so zart und so kraus ineinander-
geschlungen, daß sie ihre Starrheit fast völlig verlieren und in der Gesamtwirkung
mehr wie eine dicht von Rankenwerk gesponnene Laube, als wie ein in vergoldetem
Stein erbauter Turm erscheinen (Abb. 6).

Der architektonische Gedanke, der die ganze Metallkunst der Gotik beherrscht,
ist einzig unter dem starken Einfluß der Steinmetzen auf Abwege geraten, die zu
leugnen wir gar keinen Grund haben. Dort, wo er unabhängiger von dem in der
Architektur geschauten Vorbild das kirchliche Gerät beherrscht, stoßen wir auf
 
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