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Zeitschrift für christliche Kunst — 27.1914

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Witte, Fritz: Talmi gegen Gold: Über schlechte u. echte Metallkunst im Dienste der Kirche
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https://doi.org/10.11588/diglit.4362#0026

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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. Nr. 1/2.

Dutzend Fialen und soundsoviel Emails und getriebenen Figuren, die ebensogut
aus vergoldetem Zuckerguß hergestellt sein könnten. Oder zwei, drei und mehr
Reliquienschreine mit Fassaden und Schindeldächern, auf- und durcheinander-
gesetzt, um die Höhenausdehnung des Altares zu gewinnen. Heute wollen wir
vorerst das Wort Metall als Angelpunkt des Entwurfes sehen, nicht geborgte
alte Formen, nicht Techniken, denen zuliebe Altäre und Monstranzen und Kelche
gebaut werden. Mittel zum Zweck, Diener des künstlerischen Planes allein sollen
und dürfen sie uns sein.

Wir verneigen uns heute vor unseren Vätern, weil sie in biederer, fleißiger Arbeit
die Schätze der Alten durchwühlt und nicht eher geruht haben, bis sie die viel-
fachen Techniken, die allein eine Vielseitigkeit der Gestaltungsmöglichkelten be-
dingen, wieder erlernt hatten. Selbst die schwierigsten Verfahren werden heute
mit einer Bravour geübt, die den Produkten in der Ausführung hier und da einen
zweifellosen Vorrang vor den Werken der Alten sichern; Emails von tiefem, leuch-
tendem Farbenschmelz und einer Reinheit des Auftrages, die bewunderungs-
würdig ist. Damit stoßen wir ganz von selbst auf die Kernfrage: „Wie kamen wir
eigentlich zum Eklektizismus des verflossenen Jahrhunderts?" Wir brauchen hier
nicht breitspurig auf die sichtliche Stockung hinzuweisen, die nach dem Abebben
des Empire- und Biedermeierstiles im gesamten Kunstbetriebe einsetzte; auch nicht
auf die Periode des Suchens nach dem Hörselberg, in dem zur wahren Kunst der
Schlüssel liegen mußte. Wir haben bereits früher auf die Bedingungen des Werdens
für die historisierende Richtung hingewiesen, und zwar hingewiesen auf sie als eine
Notwendigkeit in der Folge der Entwicklungsphasen. JedeZeit hat die Kunst,
die sie verdient. Der Rückblick auf große, weit zurückliegende Perioden brachte
auch die Verehrung der Kunst dieser Zeiten. Konnte irgendwo der Anschluß
an Romanisch und vor allem Gotisch leichter und gewissermaßen zwangloser er-
folgen als in der Kirche, in der die Stile ihre Repräsentanten durch die Jahrhunderte
hindurch am Leben zu erhalten gewußt hatten? Nichts Fremdes etwa konnte ein
neuer romanischer oder gotischer Kelch dem Priester sein, fand er ihn doch unter
den Schätzen aus alter Zeit in seiner Kirche. So wäre an sich nicht viel dagegen
zu erinnern gewesen, wenn die kirchliche Metallkunst den Anknüpfungspunkt bei
jenen historischen Stilen gesucht und gefunden hätte. Eines aber mußte den
Führern und Rufern im Streite von vornherein einleuchten: daß die bald ein-
tretende Erscheinung ein Unding sei, daß zwei oder gar drei Stilen zugleich der
Hof gemacht wurde und ihnen gleich begeisterte Advokaten erstanden. Ist doch
Stil, wie Scheffler einmal sich ausdrückt, nichts anderes als ein Allgemeinbegriff
für einen Komplex dauernd gültiger Kulturformen. Wären die Stile der Ver-
gangenheit im verflossenen Jahrhundert in ihrem tiefinnersten Wesen erfaßt ge-
wesen und als der damaligen Zeit in gewissem Sinne wesensverwandt erkannt und
gefühlt worden, so hätte die Wahl einzig auf einen von ihnen fallen müssen, mag
man die Zerfahrenheit der Geister schließlich noch so schwarz für jene Zeit an die
Wand malen. Ein Schwanken hin und her zwischen mehreren Stilen zugleich
konnte und kann nur darin seine Erklärung finden, daß des Pudels Kern unbekannt
und unverstanden blieb und einzig der am Äußeren klebende Formalismus für
„Stil" gehalten wurde. Und tatsächlich: Es sind abgeschriebene oder auswendig-
gelernte Formeln, die uns vorgesetzt werden, zum wenigsten in der Durchschnitts-
ware des verflossenen Jahrhunderts. Die bravourösesten Nachbildungen roma-
nischer oder gotischer Kirchengeräte stellen noch längst kein künstlerisches
 
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