Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 30.1917

DOI Artikel:
Neuss, Wilhelm: Die Kunst der Nazarener
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4334#0020

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
N

r.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.

11

vollendet (s. Tafel). Als es in Lübeck ankam, erregte es einen Sturm der Be-
geisterung. Das mag man dem Lokalpatnotismus zugutehalten; aber die tiefe Be-
wunderung, die der feinsinnige Rumohr Overbeck brieflich aussprach32, ist der
Beachtung sicher wert. Hamann sieht auf dem Bilde freilich nur „einen wüsten
und pflegmatischen Haufen Menschen" und einen steifen Christus, „seine ganze
Würde darin entfaltend, daß er nicht lächeln kann, mit langweiligem, geradem
Profil und glatt herabhängenden Haaren, das Prototyp aller späteren Christus-
darstellungen, die aus ihm einen Naturapostel machen"33. Gewiß, etwas Müh-
sames steckt in dem Bilde, man merkt ihm sehr an, daß es nicht aus einem Guß,
daß es langsam und mit viel Überlegung geworden ist. Aber es geht gerade durch
dieses Bild ein tiefes und eigenartig-deutsches Empfinden. Eine herbe Schlichtheit
des ganzen versöhnt uns mit der Nachahmung raffaehscher Weichheit in einzelnen
Teilen. Gerade von der Gestalt Christi scheint mir das zu gelten. Sie hat mich

Abb. 5.

Maria Heimsuchung (Autotypie Kösel, aus Ed. von Steinle, des Meisters Gesamtwerk).

von jeher an Christusgestalten von Hans Thoma erinnert. Der Aufbau des Bildes
zum Hintergrunde hin entspricht gewiß nicht den Gesetzen des Sehens in die Tiefe.
Aber ist dieses Heranrücken der zurückstehenden Personen, das Nebeneinander-
ordnen ihrer Gesichter, die alle den Beschauer anblicken, nicht auch eine ge-
wollte künstlerische Freiheit, die an unsere alten deutschen Maler erinnert? An
sie gemahnt auch das unbefangene Einführen der Verwandten und Freunde des
Meisters in das Bild. Treuherzig blicken uns — links vom Haupte Christi — die
drei Schwestern an, das besorgte Antlitz der Mutter links neben ihnen mag
wohl oft so im elterlichen Hause dem Künstler erschienen sein und ihr stattlicher
Mann neben ihr verleugnet trotz des Turbans nicht den ehrenfesten Patrizier
der norddeutschen Hansestadt. Overbecks Gattin, ihr Söhnchen Alfons an der
Hand, paßt als Italienerin schon leicht zu der Mariengruppe, die sie nach links
abschließt, während der Meister für sich und seine Kunstgesellen die Plätze rechts
am Rande über den Aposteln vorbehalten hat.

M Brief vom 27. Oktober 1824. Howitt I. S. 487. - :,:t S. 55 56.
 
Annotationen