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Zeitschrift für christliche Kunst — 30.1917

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Neuss, Wilhelm: Die Kunst der Nazarener
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https://doi.org/10.11588/diglit.4334#0010

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Nr. 1 ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. 1

DIE KUNST DER NAZARENER.

Mit Tafel I und 5 Abbildungen.

Häufiger als sonst wandern in diesen Kriegsjahren unsere Gedanken rückwärts
zu den großen Freiheitskriegen vor hundert Jahren. Als damals Deutsch-
land zerrissen und zertreten am Boden lag, brach aus Scham und Liebe
zugleich in den Herzen seiner Söhne hoch die Flamme der Begeisterung für die
geschändete Herrlichkeit des Vaterlandes aus. Mit dem blanken Schwerte und
mit den Waffen des Geistes wollten sie nicht ruhen, bis sie ihm Ehre und Freiheit
zurückgewonnen und eine neue Zukunft bereitet hätten. Die Namen der Führer
in jenen Tagen, eines Blücher und Gneisenau, eines Stein und Hardenberg,
eines Körner und Eichendorff, Arndt und Görres sind unauslöschlich m die Er-
innerung Deutschlands eingegraben. Ein gleiches Gedenken hat Deutschland einer
Schar von Männern nicht bewahrt, die als bildende Künstler damals um eine
neue, freie deutsche Kunst gerungen haben, den Künstlern der deutsch-römischen
Schule, in deren Mittelpunkt Overbeck und Cornelius stehen. Von ihren Zeit-
genossen erst abgewiesen, dann allmählich gewürdigt, endlich von vielen be-
geistert verehrt, sind sie in den letzten Jahrzehnten wieder mit Geringschätzung,
wo nicht mit offener Feindschaft behandelt worden. Dabei ist ihnen ein eigen-
artiges Geschick widerfahren. Ihr erklärtes Streben war es, die deutsche
Kunst von der Herrschaft der französischen „Manier" zu befreien, statt der fran-
zösisch-akademischen Hofkunst eine wahre Volkskunst wieder aufzuwecken.
Jetzt aber werden sie wieder, soweit nicht Weltanschauungsfragen für ihre Ab-
lehnung maßgebend sind, im Namen einer Kunstauffassung verworfen, die in
französischer Schule groß geworden ist. Für viele unserer Künstler und Kunst-
schriftsteller gilt nur noch das rein Sinnliche im Kunstwerk, wie Licht und Farbe,
Dinge, die in der Tat bei den Franzosen feiner beobachtet und gewandter wieder-
gegeben wurden als bei uns. Bis zu welchem Grade die Betrachtungsweise alles
Große nur in Frankreich und alles Heil nur von dort kommen sieht, dafür ist
Julius Meier-Graefe mit seiner Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst1
ein beredter Zeuge. Für ihn haben die Nazarener nicht gelebt. Für Richard
Muther sind sie nur eine schwächliche „blaue Romantik"2, und er fragt bei dem
Bedeutendsten von ihnen, Cornelius: „Doch war er auch ein Künstler?" und ver-
neint die Frage'. Als offenbare Verirrung, an der vorzüglich die Hinwendung der
Nazarener zum Katholizismus die Schuld trägt, erscheint ihr Schaffen auch bei
Richard Hamann in seinem Werke: „Die deutsche Malerei im 19. Jahrhundert4,
während Karl Scheffler in seinen zusammengefaßten Abhandlungen über „deutsche
Maler und Zeichner im 19. Jahrhundert"' den Widerwillen gegen die religiöse
Richtung der Nazarener mit einer scharfen Ablehnung der „Gedankenmalerei"
überhaupt verbindet. Als geschichtliche Entwicklungsstufe kommt ihr Streben
wenigstens zu seinem Rechte in der „Kunstgeschichte des XIX. Jahrhunderts"
von Max Schmid6. Cornelius Gurlitt endlich, um an letzter Stelle den zu nennen,
der am meisten Selbständigkeit des Urteils mit Feinfühligkeit für das echt Künst-

1 2. Aufl., München 1914.

• Geschichte der Malerei III, Leipzig 1909, S. 393. — :! Ebendort S. 402.

4 Leipzig 1914. — 5 Leipzig 1911. — 6 Band I, Leipzig 1904, S. 270 ff.
 
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