Nr. 3
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
45
bei Rottweil; in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts kam sie in
die Sammlung des Kirchenrats Dursch in Rottweil, eines bekannten Sammlers
schwäbischer Bildwerke, und bildet heute eine der Zierden der städtischen Samm-
lung. Beide Bildwerke gleichen
sich bis in die Einzelheiten hin-
ein, wie der Körper aufgefaßt ist
und sich ausbiegt, wie die Rechte
den Mantelsaum rafft, wie das
Kind mit gekreuzten Füßen auf
dem Arm der Mutter sitzt, mit
der Rechten sich an der Brust
der Mutter hält, und mit der
Linken den Mantelsaum in die
Höhe zieht. Selbst die nieder-
fallenden, stark herausgearbeite-
ten Falten des Kleides decken
sich gegenseitig. Von den Schutz-
befohlenen knien 2 mit gefalteten
Händen zu Füßen der Mutter;
darüber schauen je 3 weitere,
zum Teil nur mit dem Kopf
sichtbar, aus den Mantelsäumen
hervor, wie die Küchlein unter
den schützenden Flügeln der
Henne. In ähnlicher Anordnung
sind die Schutzbefohlenen bei
dem Zwiefalter Bildwerk zu den-
ken ; so eingereiht füllen sie die
Lücken desselben in richtiger
Weise aus und machen das Werk
erst verständlich. Bei aller äußer-
lichen Verwandtschaft ist der
Geist der beiden Skulpturen
sehr verschieden. Im Gößlinger
Bild herrscht eine härtere Kör-
perauffassung, ein gebundenes,
schematischeres Liniengefühl; es
dominiert noch eine üppige Fülle
der aufgenommenen und nieder-
strömenden Falten massen. Die
Kurven sind noch stärker aus-
gebogen, die Innenzeichnung mit
starken Gegensätzen ist unge-
mein reich, die gotische Linien-
melodie ist noch voll in Herrschaft. Das Schematische und Komponierte
herrscht vor, bis in das süße Lächeln der Mutter hinein, während in Zwiefalten
das Beobachtete und Erschaute das Bestimmende ist. Es fehlt dem Werk die
Abb. 3. Sdiutzmantelbild aus Obersdiwaben im Suermondt-
Museum in Aachen.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
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bei Rottweil; in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts kam sie in
die Sammlung des Kirchenrats Dursch in Rottweil, eines bekannten Sammlers
schwäbischer Bildwerke, und bildet heute eine der Zierden der städtischen Samm-
lung. Beide Bildwerke gleichen
sich bis in die Einzelheiten hin-
ein, wie der Körper aufgefaßt ist
und sich ausbiegt, wie die Rechte
den Mantelsaum rafft, wie das
Kind mit gekreuzten Füßen auf
dem Arm der Mutter sitzt, mit
der Rechten sich an der Brust
der Mutter hält, und mit der
Linken den Mantelsaum in die
Höhe zieht. Selbst die nieder-
fallenden, stark herausgearbeite-
ten Falten des Kleides decken
sich gegenseitig. Von den Schutz-
befohlenen knien 2 mit gefalteten
Händen zu Füßen der Mutter;
darüber schauen je 3 weitere,
zum Teil nur mit dem Kopf
sichtbar, aus den Mantelsäumen
hervor, wie die Küchlein unter
den schützenden Flügeln der
Henne. In ähnlicher Anordnung
sind die Schutzbefohlenen bei
dem Zwiefalter Bildwerk zu den-
ken ; so eingereiht füllen sie die
Lücken desselben in richtiger
Weise aus und machen das Werk
erst verständlich. Bei aller äußer-
lichen Verwandtschaft ist der
Geist der beiden Skulpturen
sehr verschieden. Im Gößlinger
Bild herrscht eine härtere Kör-
perauffassung, ein gebundenes,
schematischeres Liniengefühl; es
dominiert noch eine üppige Fülle
der aufgenommenen und nieder-
strömenden Falten massen. Die
Kurven sind noch stärker aus-
gebogen, die Innenzeichnung mit
starken Gegensätzen ist unge-
mein reich, die gotische Linien-
melodie ist noch voll in Herrschaft. Das Schematische und Komponierte
herrscht vor, bis in das süße Lächeln der Mutter hinein, während in Zwiefalten
das Beobachtete und Erschaute das Bestimmende ist. Es fehlt dem Werk die
Abb. 3. Sdiutzmantelbild aus Obersdiwaben im Suermondt-
Museum in Aachen.