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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1915)
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Jesser, Franz: Voraussetzungen des mitteleuropäischen Staatenbundes
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Avenarius, Ferdinand: Zum Gedenken an Geibel: zum 17. Oktober 1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0076

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Wir werben um niemandes Gunst, weil wir niernanden fürchten. Wir
sind nicht nur die Heischenden, sondern auch die Gebenden. Wir leugnen
aber auch nicht, daß uns die Freundschaft unserer Nachbarn so wertvoll
ist, daß wir auch vor Opfern nicht zurückschrecken.

Wir sind zu einer sachlichen Aussprache bereit — sind es aber auch
die anderen? Franz Iesser

Zm Gedenken an Geibel

Zum 17. Oktober 1915

in alter Satz besagt: Gerecht gegen einen Künstler ist immer erst das
übernächste Geschlecht. Dann wären wir wohl so weit, jetzt gegen Geibel
gerecht sein zu können.

Zu seinen späteren Lebzeiten und noch ein Iahrzehnt über seinen Tod
hinaus wurden freilich schon die Bemühungen um GerechtigkeiL gegen
Geibel erschwert. Hebbel, Mörike, Keller, später auch Meyer, sie waren
da, aber wenn man überhaupt von ihnen wußte, so betrachtete und be-
schrieb man sie höchstens als kleine Nebensternchen neben der einen leuch«
tenden Sonne der modernen Lyrik, neben Geibel, und neben seinen großen
Planeten wie Bodenstedt und später Baumbach und Iulius Wolsf. Griff
aber der Fernerstehende zunächst zu einer Anthologie, um Geibelsche Ge-
dichte zu lesen, was fand er da? Iugendgedichte, die das Gutzkowsche
Wort vom „Schwachkopf in der Poesie" verzeihen ließen. Sie gaben
den Ton an, nach dem der ganze lyrische Auch-Parnaß der Zeit sich stimmte.
Bekam ein Vater sie in die Hand, so dachte er: etwas für meine Tochter.
Wenn das die Krone der zeitgenössischen Lyrik war, was ging die
zeitgenössische Lyrik ihn an? Geibel trug scheinbar die tzauptschuld
daran, daß der Gedanke gang und gäbe ward: Lyrik ist nur etwas
für Damen, höchstens noch für liebende Iünglinge, Lyrik geht den Reifen
nichts an.

Aber bei dem Namen Geibel dachte man an etwas, das nur für den
jungen Geibel bezeichnend war. Nur der „grüne" Geibel war überhaupt
„Liebling der Lesewelt" geworden, Geibels spätere Gedichte und seine
späten zumal fanden noch nicht den hundertsten Teil der Käufer, welche.
die ersten fanden. Es war Geibels Lebenskummer und er hat es bis
zu seinem Tode immer wieder beklagt,

„Daß bei des Iünglings unvollkommnen Spielen
Ihr allzufrüh in Beifall euch ergossen,

Doch, als er vorwärts drang zu würdgen Zielen,

Ein halbes Ohr nur seinem Ernst erschlossen".

Denn er war keiner, der sich gesagt hätte: „so gefällt's, dabei bleibst
du^, sondern er arbeitete sein ganzes Leben lang an sich und seiner
Kunst — er konnte gar nicht anders, als ihrer ohne Rücksicht auf Gunst
und Angunst mit dem Gefühle des aufgetragenen Amtes nach bestem Ge«
wissen priesterlich zu walten.

Zu Großem kam er auch dabei nicht. Er war kein Genie, kein
Schöpfer aus dem Arsprünglichen, kein Seher, kein Erschauer von inneren
Gesichten. Er war ein edler Redner wohlgesetzter und sorgfältig und mit
hohem Geschmack skandierter und gereimter Rede. Er versetzt uns wohl
einige Male (wie bei dem Gedichte „Die Locken^), aber doch nicht oft

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