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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1915)
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Landsberg, ...: Fürsorgeerziehung und Kunst
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Weinhandl, Margarete: Das Fensterkreuz
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0288

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Freu.de lehrte, das kail:r auch der gefährdeten Iugend nur zum tzerle
sein. I. F. Landsberg

Mit diesem Aufsatze spricht Landsberg zum letztenmal zu uns. Er
schrieb uns im Frühling über diesen Beitrag: „Sie können ihn ruhig
während des Krieges bringen. Er wird auch durch Krieg verhärtete Ge-
müter noch fassen können." Am Schluß des Briefes steht der Satz: „Der
Krieg möchte auch die daheim Festgehaltenen meucheln." Ganz kurze Zeit
darauf ist Landsberg gestorben. Auch wer die früher von uns gebrachten
Aufsätze nicht kennt, wird allein aus diesen Zeilen den Menschen ahnen
können. Fügen wir hinzu, daß Landsberg in seinem Leben und in seinem
Beruf als Iugendrichter genau so war, wie er uns aus seinen Schriften
erscheint, so wird man empfinden, daß mit ihm unserm Volke, und im
besondern unserm Arbeitskreise, einer der vornehmsten MLnner genom-
men worden ist.

Das Fensterkreuz

^^n der Dachstube der Reservistenfrau dunkelt es so stark, daß nur mehr
^Adie blonden Mädel- und Bubenköpfe durch die Dämmerung scheinen.
E^IGerade hab ich das Wort Weihnachten unter die Kinder geworfen.
Das zaubert lauter Christbaumlichtlein in ihre Augen, und aus den
Lippen blühen redselig die Wünsche auf. Immer finstrer wird die Kam-
mer, immer lichter das kleine Viereck des Dachfensterchens. Draußen hat
der Mond ein blausilbernes Leuchten entzündet. Aber dem Wipfelgewirr
der Nachbargärten schwebt es wie heller Maienschein; ein großes, zittern-
des Lichtgeheimnis durchtränkt die Luft. Ich schaue und höre dabei das
Kindergeplauder um mich her, und Schauen und tzören fließt zusammen
in ein einziges blausilbernes Weihnachtswunderglück. Da flüstert die
Stimme der Frau neben mir: „Ich darf an Weihnachten nicht denken.
Wenn mein Mann bis dahin Ihre Lippen versagen, und ich wage
kein Trostwort. Ganz plötzlich werd ich das Fensterkreuz gewahr, das
schwarz und scharf in das Schimmern draußen schneidet. . . .

Line Stunde später sitze ich im hellen Wohnzimmer einer vornehmen
Frau. Unwillkürlich sucht mein Blick an den beiden Fenstern. Die sind
aber von Brokatvorhängen verhüllt; also ist da kein Fensterkreuz zu sehn.
Man spricht von seinen Kindern und erzählt sich lächelnd von ihren Weih--
nachtswünschen. Da kommt der Graf heim. Inmitten der allgemeinen
Begrüßung bemerke ich, wie seine Frau ihn mit den Augen fragt. Bis
er zu ihr tritt, fast unmerklich den Kopf schüttelt und leise antwortet:
„Wieder nichts!" Da schreitet sie wie zufällig dem Fenster zu. Die
Brokatvorhänge schiebt sie beiseite und lehnt die Stirne einen Augenblick
an die schimmernde Scheibe. And nun ist es auch hier: das große, schwarze
Kreuz im blausilbernen Leuchten . . .

In der Nacht träumte mir, ich sei wieder ein Kind und ginge an der
Hand meiner Mutter von der Christvesper heim zur Weihnachtsbescherung.
„Sehn wir mal, ob in den tzäusern schon viele Christbäume brennen."
Die Mutter traurig: „Still, Kind, heute gibt's keine, heute gibt's in allen
Häusern nur Kreuze." Da sah ich danach und erschrak: wirklich! nnzählige
dunkle Kreuze starrten, Kreuze aus allen Fenstern! „Mutter, werden wir
auch keinen Christbaum haben?" Da deutete sie auf ein Kreuz, das sie
unter ihrem Mantel trug. Ach ja: alle Leute auf der Straße trugen ja

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