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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 4 (2. Novemberheft 1915)
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Strnad, Oskar: Soldatengräber und Kriegsdenkmale
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Ullmann, Hermann: Polen, Juden, Deutsche: hinter der östlichen Front
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0187

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rechte Baugesinnung, die will es anregen und üben. Das ist aotwendig,
wo man übers Schema hinaus will. Und dazu ist das Werk des Ge-
werbe-Förderungsamtes vortrefflich geeignet.

Polqn, Iuden, Deutsche

Hinter der öftlichen Front

^m^raußen ziehen die niedrigen Nachtwolken über die weite russisch-pol-
^--^^nische Ebene, über die Wiesen- und Landflächen, mit den vereinzel-
ten Baumgruppen, den dichten Wäldern, den zusammengedrückten
granen Dörfern, die so seltsam zufällig da und dort in der gestaltlosen
Landschaft verstreut sind, formlos wie alles, was einem hier begegnet,
haltlos und ohne Anlehnung in der rhythmisch-eintönigen Weite, die
an uns vorübergleitet. Wenn unser Zug wieder einmal seine schleppende
Fahrt auf unbestimmte Zeit unterbricht und gerade ein solches Dorf in
der Nähe ist (die Bahn kümmert sich kaum um die Städte, geschweige um
die Dörfer, sie scheint nur wegen der Festungen und wegen der Grenze
gegen die Deutschen da zu sein), sieht's oft, hier in Russisch-Polen, recht
freundlich aus, besser, sauberer, ordentlicher als in Galizien, wo die Spuren
des Krieges, aber auch die eines in seinen Formen nur zu bekannten
Friedens sichtbarer sind. In Rußland ist in den Dörfern, wenn sie nicht
gerade im Bereiche einer Festung oder einer befestigten Linie lagen, wenig
zerstört. Freilich: Männer sieht man auch hier wenig. Die breite Dorf-
zeile hinunter sitzen vor den tzolzhäusern, die hier und da einen gewissen
bäuerlichen Stil zeigen, ihn aber nur wenig streng wahren, gesunde, derbe
Mädchen, Frauen und viel Kinder: am Sonntag ein buntes, farbenfrohes
Bild. Die Felder sind vernachlässigt, wenn man kaufen will, erhält man,
zumal wo man deutsch anfragt, die immer wiederkehrende Antwort: „Wir
haben nichts." „Die Russen haben alles genommen." Polnisch sprechende
Leute haben mehr Glück und fördern allerlei Lßbares zu oft erstaunlich
billigen Preisen zutage, wenigstens dort, wo wenig Truppen durchgezogen
sind: man kann'an ziemlichen Wohlstand dieses Bauerntums in normalen
Zeiten glauben. Es ging ihnen offenbar recht gut unter den Russen. Da-
von zeugen auch allenthalben stattliche katholische Kirchen, auffallend neu
und ohne rechtes Verhältnis, der Größe wie dem Stile nach, zu den
tzolzhütten umher. Die hat den Bauern der Russe gebaut. Daß es nur
russische oder noch öfter gar keine Schulen gibt, kränkt ja den polnischen
Bauern wenig.

Anders in vieler tzinsicht wird das Bild, wenn man einen der größeren
Orte bis dahin verfolgt, wo die Bauernhäuser mit dem Buschwerk und
den Wiesenflächen dazwischen aufhören, die tzolzbauten zu einer Art städti-
schen Gebildes zusammenrücken und sich um einen Markt oder in ein
paar Straßen reihen. Da beginnt eine Verwahrlosung, ein Schmutz, eine
östlich-fremdartige Welt, daß man sogleich eine fremde Seele merkt, einen
dem Westen widerstrebenden Zustand. Es ist, als wäre nicht die Kraft und
nicht der feste Wille da, Städteorganismen zu schaffen; klar vorgedachte
und dabei organisch aus Gewerbe und tzandel erwachsende geschlossene
Gemeinwesen zu bilden. Irgendwo fließen ein paar Straßen zusammen,
niedrige, primitive tzolzhäuser stehen locker aneinandergereiht, notdürftig
mit Schwelle und Tor, Dachrinne und Fenstern versehen, im Rinnstein
staut sich der Schmutz, ein kleiner, überaus dürftiger, unordentlicher Laden
 
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