Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1915)
DOI Artikel:
Natorp, Paul: Geschichtsphilosophische Grundlegung für das Verständnis unsrer Zeit
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0134

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Höhe durchlaufen werden mußten. Darin wäre nichts von Willkür oder un-
zulässiger Hypothetik, denn da in den höheren Stufen die niederen eben
nicht untergehen, sondern zugleich sich erhalten, so rnüssen sie stets auch
empirisch aufweisbar sein. 2Iur so war auch das „konstruierende", in
Wahrheit rekonstruierende Verfahren Hegels gemeint. Was an seinem
Versuch verfehlt ist, ist nicht Schuld des Versahrens an sich, sondern der
Durchführung im einzelnen, deren Mängel in einer Zeit, die die sicheren
Methoden geschichtlicher Forschung erst zu schaffen hatte, sehr begreiflich
sind. Ls war keineswegs seine Meinung, die Geschichte der Menschheit
gleichsam aus den Fingern saugen zu wollen, sondern unter die, allerdings
aus apriorischen, aber in ganz haltbarem Sinne apriorischen Prinzipien
geschöpften obersten Einteilungsgründe die empirische Mannigfaltigkeit der
geschichtlichen Erscheinungen zu ordnen, wobei mit größtem Recht stets
die logische Kontinuität von den höchsten Prinzipien bis zu den konkrete«
sten GestalLungen, welche die Lrfahrung aufweist, an sich vorausgesetzt
und nach Möglichkeit nachgewiesen wurde.

In ähnlicher methodischer Linstellung habe ich in einem früheren Auf-
satze^ den Versuch gewagt, die heute in heißem Kamps miteinander rin-
genden Völker nach ihrer Sonderheit zu kennzeichnen und die tiefer«
liegenden Gründe des Gegensatzes unter ihnen dadurch aufzuhellen. Das«
selbe muß hier noch etwas gründlicher geschehen, damit besonders über
das, was als deutsches Wesen, deutsches Volkstum mit Grund behauptet
werden dars, etwas mehr Klarheit und, wenn es sein kann, objektive
Sicherheit erreicht werde. Paul Ratorp

Vom Heute fürs Morgen

Ändert ihr das Brld?

er von uns hat in der letzten
Zeit wie an eine schwere Gefahr
an die Ereignisse auf dem Balkan
gedacht? Wer von uns wie an eine
Drohung daran, daß Italien etwa
doch noch in deutsch«völkische Ge-
biete einbrechen könnte? Die Gegen-
stöße des größten Reichs von Luropa
und Asien im Osten — welcher Deut-
sche hat ihretwegen gezittert? Die
Angriffe der Franzosen und Lng-
länder im Westen, zu denen zwei
Weltreiche ihre stärkste Kraft gemein-
sam sammelten — wer von uns hat
eine Stunde nur ihr Gelingen ge-
fürchtet? Nach allem, was unsre
Heere getan, eröffnen sie eine neue
Front an Donau und Save, wen

* Irn dritten der u. d. T. „Der
(Hagen, O. Nippel), woraus einiges im

^von uns verwundert's viel? Fünf-
viertel Iahre dauert der Krieg, wir
hungern nicht, wir dursten nicht, wir
darben nicht. Wir borgen nicht
einmal, wir werfen in die Wagen des
Schicksals „silberne Kugeln" in kaum
vorstellbaren Mengen aus eigenen
Truhen. And wir bilden aus Men-
schen, unsern Menschen, jetzt nach
eben diesen fünfviertel Iahren noch
eine lebendige Mauer, die dreimal
größer ist, als bei Beginn. And
staunen nicht.

Wir hätten nicht nur gestaunt,
wir hätten den Kopf geschüttelt und
hätten gesagt: das kann nicht wer-
den, wenn uns einer vor anderthalb
Iahren gesagt hätte: so wird's. Wir
hätten wehmütig gelächelt: du

>ag des Deutschen" vereinten Aufsätze
„Kunstwart", 2. Iuniheft

(02
 
Annotationen