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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 4 (2. Novemberheft 1915)
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Ullmann, Hermann: Polen, Juden, Deutsche: hinter der östlichen Front
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0194

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soviel Gelegenheit zu solchem Einblick haben: es kommt freilich darauf
an, dajz man ihn mit den rechten Augen nimmt. Im Kampf, in der Not,
haben die Einfachen und Genügsamen zusammen mit den Bewußt-Be-
mühten, den Gestaltenden und Positiven über die Halbbildung, die ewig
Alltäglichen, die draußen sind wie zu Hause und aus ihrem formierten
Sonderdünkel nicht herausfinden, gesiegt. Aber man täusche sich üicht:
wie überall, kommen auch hier die Alltäglichen und die Halbgebildeten,
die ewig 'Durchschnittlichen schon wieder hoch und machen den Äberlegenen
die Einfachen und noch nicht Verlorenen abspenstig. Auch hier wird alles
darauf ankommen, daß sich die aufbauenden Kräfte des Krieges in den
Frieden hinüberretten, daß die Front, die dem Willen des Schicksals ge-
mäß geschaffen wurde, seelisch erhalten bleibe; die Front gegen Osten und
Halbasien. Hermann Allmann

Vom tzeute fürs Morgen

Warum fterben?

or dreißig Iahren zeigte ein
Privatdozent tzeinrich von Stein
an der Berliner Universität Vor-
lesungen über die Asthetik der Klas-
siker an. Das Thema zog besonders
die neu vom Gymnasium kommen-
den Studenten an; es wurzelte noch
im Interessenkreis der Schule und
schien doch weiter zu führen. Ein
junger Mann trat ins Auditorium,
langgewachsen, sehr jung dem Aus«
sehen nach, sehr deutsch im Typus,
und so auch, wie es schien, im In-
halt seiner Vorträge. Besonders haf-
ten ist uns geblieben, was er über
Schillers frühen Tod sagte. Von
einem bestimmten Augenblick seines
Lebens an habe Schiller gewußt, daß
er früh sterben müsse. Das habe
eine Weihe über sein Schaffen ge-
legt, wie eines, der sein letztes Wort
spricht. Vielleicht ergriff uns die
Schilderung durch die Andacht, die
wir dem Sprecher abfühlten. Fast
als suche er ein eigenes Lebens-
gefühl auszudrücken. Er starb kurz
darauf.

Es ließe sich vielleicht finden, daß
die meisten dieser zu früh Abgetre-
tenen eine gewisse Intensität der
Worte gehabt hätten, die wie von
der Wucht eines vorausgefühlten
schwerenGeschicks herausgepreßt klin-

gen: „Ich muß wirken, solange es
Tag ist, es kommt die Nacht, da
niemand wirken kann". Wir den-
ken an Novalis, tzölderlin, Nietz-
sche, auch Fichte, der wenigstens für
einen Philosophen jung starb, in
einem Alter nämlich, in dem Kant
noch keines seiner großen Werke ge-

In einem kleinen Buch, das
im Schützengraben entstanden ist
(Everth, Von der Seele des Sol-
daten im Kriege) kommt die bedeu-
tende Beobachtung vor, daß der Sol-
dat in der ständigen Todesgegen-
wart, auch wenn er den Tod gar
nicht fürchtet, doch das Leben dop-
pelt wert hält. Der Verfasser be-
merkt dazu: „Wenn die Menschen
überhaupt nicht sterben müßten, wäre
das Leben vielleicht gar nicht aus-
zuhalten — so beiläufig würden wir
unsre menschlichen Beziehungen be-
handeln, denn man hätte ja immer
noch so viel Zeit!«

Die Beobachtungen des tzeftes
sind nüchtern und machen den Ein-
druck der Zuverlässigkeit, ohne be-
sondere Vertiefung zu versuchen.
Mehr Stoff, als Ergebnis einer
Verarbeitung. Am so auffälliger ist
diese Bemerkung. Es scheint, als
gipfle in diesem Erlebnis für den

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