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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1915)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Zur Frage der Kriegslyrik
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Gürtler, Franz: Die deutsche Musik in Gegenwart und Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0023

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fühlt sich doch in euren Strahlen
doppelt mutig und gesegnet."

Die Begriffe „Erhebung" und „Erbauung" sind freilich dürftig. Die
soziale Funktion des Zeitgedichts geht heute weit darüber hinaus. Von
der schlichten Errnutigung und Tröstung bis zur größten Erweiterung des
geistigen Gesichtkreises erfüllt es sie. Es ist heute nicht leicht, innerlich
Stellung zu nehmen zu den Ereignissen. Tausend Ratsel lasten auf dem
Denken der Menschen, für zahllose neue Empfindungen fehlt ihnen das
Wort. Da greift nicht nur der Kriegsvortrag, der Aufsatz, die Predigt ein,
da wird auch das Gedicht wieder zum „Wort des Einzelnen für Viele^.
Und auch auf diesem Wege schafft es Verständigungen von Mensch zu
Mensch, knüpft es Bande, sichert es ein ganzes Volk in seinem geistig-
seelischen Selbstbewußtsein. Voraussetzung dafür ist nur, daß ein wahr-
haftiger, nicht kraftloser, und ein des Wortes mächtiger Mensch aus Inner-
stem spricht. Ein großer Lyriker braucht er nicht zu sein, und gar dre
„Entwicklung der deutschen Lyrik" — übrigens eine verzweifelt unsichere
Vorstellung — braucht er keineswegs zu fördern.

Nichts liegt mir ferner, als die rascheste Erstellung weiterer Millionen
von Zeitgedichten fördern zu wollen; für Rekruten gäbe sie jeder unbe-
sehen preis. Aber es gibt so viele, für die auch Gedichte immer nur
„Kunst" sind, Kunst, die irgendwo im Ternpel bewahrt werden, zu Feier-
zeiten hervorgeholt und von tief eingeweihten Auguren gesichtet und er-
wählt sein muß. Solche Vorstellungen leiten heute doch wohl irre. Wer
ein paar Hundert bessere Gedichte dieser Tage unvoreingenommen, „un-
literarisch" liest, wird das empfinden. Er wird selbst als „Gebildeter"
und „wohlunterrichteter Europäer" nach ihrem Lesen doch anders in die
Zeit schauen, anders sich in sie einfühlen. Von deren Geiste ist ein tzauch in
unsrer Kriegslyrik, und darauf kommt es an.

Wolfgang Schumann

Die deutsche Musik in Gegenwart und Zukunft

^W^er Glaube, daß nun alles oder mindestens sehr vieles „anders
^-^^werden muß", beginnt auch auf musikalischem Gebiet sich durchzu-
^^setzen. Einig ist man freilich nur darüber, was wir nicht haben.
Es wäre eine Aussicht von beglückender Schönheit, sähen wir irgendwo
auch nur eine neue, junge schöpferische Kraft, einen Tonkünstler, der
von dem erhofften neuen Geist ganz besessen und doch künstlerisch mächtig
genug wäre, ihn schöpferisch zu gestalten. Aber bis jetzt habe ich noch
niemand einen solchen nennen hören — was die Frage nach dem schaf-
fenden Menschen anbelangt, so beschränkt sich die „Einigkeit" leider
auf die Meinung, daß eine solche Kraft, ein solcher Beethoven, ein solcher
Mozart, Schumann oder Wagner des zwanzigsten Iahrhunderts nicht
da ist. Die Geister trennen sich bereits über der Frage, ob die be-
kanntesten und geschätztesten Komponisten der letzten zwanzig Iahre auch
nach dem Kriege die gleiche Rolle weiterspielen können und „sollen" wie
vorher. Ich möchte nicht um einen unbenannten heißen Brei herum-
schleichen: die Zukunft eines Richard Strauß vor allem ist es, die jetzt
die Köpfe und tzerzen beschäftigt. Nicht die Straußens allein, sondern
die Zukunft auch aller der Iüngeren, die in ganz Deutschland von ihm
innerlich abhängig waren. Wie war die Lage bis 1914? Es ziemt

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