Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1915)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Naumanns "Mitteleuropa"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0274

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Naumanns „Mittelenropa"

hätte voraussagen können, daß dieser Mann und diese Idee
R/zusammenstoßen und sich gegenseitig befruchten würden. Denn
^^^wenn irgend jemandes Großzügigkeit und Weitsicht, irgend je«
mandes politisch-schöpferische Phantasie von je dahin drängte, größere
Organisationen innerlich zu schauen und vorzubilden, als das Deutsche
Reich und die Donaumonarchie von heute, so war das Friedrich Nau«
mann. Sein erstes politisches Wollen schon hat über Parteigrenzen hinweg
ein Größeres gesucht, sein wirtschaftliches Denken hat über ältere, engere
Formen hinaus Ziele gesehen, sein Sinn war jederzeit auf Zukunft und
auf Wirkungsweite gerichtet. Freuen wir uns, daß der Europäische Krieg
ihn nicht als gealterten Vorsichtmann, sondern immer noch als zukunft-
frohen Weltanschauer vorfand!

„Mitteleuropa".^ Die neue Idee stammt nicht irgendwoher aus Traum
und Wunsch. Es handelt sich um nichts anderes als darum, daß das
Deutsche Reich und Österreich-Ungarn allein, jedes für sich in militärischer,
wirtschaftlicher, politischer Hinsicht keine genügende Weltmacht bilden, um
in künftiger Zeit allen Stürmen gewachsen zu sein. Erft der Zusammen-
schluß beider in ein „Mitteleuropa" kann dazu die Grundlage abgeben
und kann wirkende und werbende Kraft ausstrahlen, die neben den alten
Weltmächten England, Nußland, Amerika und ihrem Anhang eigne Geltung
hat. Das ist die Idee. Sie entstammt der Geschichte, von alten Kaisertums
Zeiten her lagert sie bald sichtbarer, bald umwölkter über uns. Im Weltkrieg
aber hat sie gleichsam schon Körper angesetzt: auf galizisch-ungarischen
Schlachtfeldern, in Serbien, schon in den Verhandlungen des Iuli WH und
in den Diplomatenkämpfen zu Rom, wo „Mitteleuropa" zugleich erlag und
sich neu erhob. Die Idee ist kein persönliches Eigentum Naumanns. Ieder
Kenner des öffentlichen Lebens zählt von ihren vielen Verkündern einige
her, von Eugen von Philippovich, Franz Iesser und Minister Bruck bis
zu Franz von Liszt und — Bismarck. Sie hat auch in Aaumann nicht
ihren geistigen Vollender gefunden. Er ist ihr Iohannes, ihr gläubiger
Erst- und Vorverkünder für diese Zeit neuer Möglichkeiten; sie wird,
das sagt Naumann selbst, zahlreiche Gestalter, Mithelfer, Weiter- und
Durchbildner, sie wird ihre Iüngerschar und ihre Millionen von Gläubi-
gen noch finden müssen. And hoffentlich ihre Tatmenschen, die von
ihr mehr verwirklichen als Skeptiker aller Art für möglich und tunlich
halten. Dann wird Baumanns „Mitteleuropa" dem Geschichtschreiber
angehören.

tzeute aber ist er der Prophet des neuen Weltgebildes. tzeute heißt
es nur, Tausende von Lesern und Durchdenkern dieses Buches werben, da-
mit die Prophetie ins Wirken komme. Ich weiß, daß Aaumanns Buch
Lücken und Anvollkommenheiten hat, und daß Kritiker es zausen werden.
Aber den bestimmten, eng umgrenzten Fragenkreis dieses Buches wird
keiner so licht und froh und zugleich so eindringlich und ernst beleuchten
wie Naumann. And darum wird keiner einen bestimmten, Tausende quä-
lenden Teil unsres Zeiterlebens so innerlich erfaßbar und durchsichtig
machen; schon weil keiner so „menschlich", so herzlich, so anschaulich und

^ Aaumann, Mitteleuropa, 299 S. Verl. G. Neimer, Berlin l9l5, geb.
M. 3.50. Zur Sache vgl. auch die Aufsätze von Iesser und Allmann
in den Heften 2 und 5 des 29. Iahrgangs des Kunstwarts.

2^2
 
Annotationen