Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1915)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Naumanns "Mitteleuropa"
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0275

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
lebenskundig davon schreiben könnte wie er. Selbst so mancher auf wirt-
schaftwissenschaftliche Facharbeit Eingeschworene hat dies schon zugegeben.

Än dieser Stelle, wo es niemals die Erörterung politischer Fach- und
Einzelfragen gilt, kann nun nichts weiter geboten werden als eine Äber«
sicht über den Buchinhalt. Den Inhaltumfang des Buches bezeichnen die
Grenzen Deutschlands und Österreich-Ungarns.' Äber „Polen" fallen nur
wenige Worte, die westöstliche Weltkulturzukunft wird kaum gestreift. Bur
das Kapitel „In der Weltwirtschaft" zieht andre Weltgebilde als Mittel-
europa zum Vergleich heran und streift die dritten, vierten und weiteren
Partner Mitteleuropas. Nach theoretischen Schlagworten bestimmt sich
das Werk als eines, das der Wirtschaftlehre, der Soziologie, der Politik
angehört; und da diese drei Gegenstande sich in die Zeit erstrecken, ist
geschichtliche Antergründung für das Buch eine Selbstverständlichkeit. Im
politischen Teil, der nicht überwiegt, gibt Naumann einen Anruf der
Willen. „Ihr müßt Mitteleuropa wollen, wenn ihr euch selbst frei
und stark wollt; und ihr müßt es nur wollen, dann wird es." Darüber
Hinaus erörtert er die Verfassungfragen. Im soziologischen Teil ver-
breitet er sich über Deutschlands und Österreich-Angarns Eigenart, über
Persönliches, Landschaftliches, Ideelles, über geschichtliche Bedingtheiten,
Konfessionen, Nationalität^n, Wirtschafteigenheiten („Arbeitscharaktere").
Im wirtschaftlichen Teil geht er nach seiner prachtvollen Art, „Schwer-
verständliches" zu leichter Einsicht zu bringen, ganz in die Breite; hier
findet man Äberblicke über die Kriegswirtschaft, den Äbergang zum Frie-
den, findet man Vorschläge wie die der künftigen Vorratwirtschaft, der
„Staatssyndikate mit Arbeitersicherung", verschiedene Zollmaßnahmen, findet
man weltwirtschaftliche Betrachtungen großen Stils und privatwirtschaftliche
von schmiegsamster Einfühlung (für besorgte Leser: das beängstigende „Zah-
lenmaterial" ist von diesem Meister des Stils in den Anhang gesteckt).

Die Kapitelüberschriften: (. Der gemeinsame Krieg und seine Folgen
(„Ein einig Volk von Brüdern"). 2. Zur Vorgeschichte Mittel-Europas
(seit der Kaiserzeit ist der Gedanke lebendig; ein neues Geschichtbewußt-
sein ist aber nötig, als dessen Vorläufer Bismarck erscheint). 3. Konfessionen
und Nationalitäten. H. Das mitteleuropäische Wirtschaftsvolk (die „Ar-
beitscharaktere" Deutschlands, Österreichs, Angarns, der Welt). 5. Gemein-
same Kriegswirtschaftsprobleme. 6. In der Weltwirtschaft. 7. Zollfragen.
8. Verfassungsfragen. y. Statistisches und tzistorisches. (0. Literatur.

Man sieht schon der Inhaltangabe die stoffliche Beschränkung an, von der
vorhin schon einiges angedeutet wurde. Mancher wird sie bedauern; wird
bedauern, daß die Türkei, daß Bulgarien nicht erwähnt, nicht berück-
sichtigt sind; und wird schließlich sagen — daß Naumanns Buch so stoß-
kräftiger wurde, zumal wenn man es schleunigst, ungeachtet etwaiger
Kosten, ins Angarische, Tschechische, Serbische übersetzen wollte. Ich per-
sönlich bedaure, daß Naumann, der Österreich-Angarn mit schlechthin vor-
bildlicher Feinheit, mit Takt und Klarheit behandelt, hier nicht auf Einzelnes
etwas mehr eingegangen ist. Es bleibt da die Möglichkeit österreichischer
Mißverständnisse — nicht zwar: daß Naumann Österreich übelwollend
oder herablassend behandelte, aber: daß sein Buch zur Aufklärung Deut-
scher über Österreich nicht genüge, es bleibt etwas wie ein Wunsch, daß nach
diesem Berliner Plan Mitteleuropas nun ein Wiener gleichen Amfangs
erstehe. Auch manche andern Dinge sind unberücksichtigt oder kaum er-
örtert: geistige Kultur, Militärkonvention, die bisherigen Mitteleuropapläne.
 
Annotationen