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Die verunglückte Antiquität.
Der Präsident Sanders fuhr auf einer Visitationsreise
durch die Fluren eines Landstädtchens und bemerkte abseits von
i der Straße einen großen Stein, welcher die Gemarkungen
zweier Gemeinden von einander schied. Als großer Freund von
Alterthümern, der um jeden Preis das monumentum anti-
quitatis romanae der Kreishauptstadt mit einigen seltenen
Exemplaren zu bereichern wünschte, betrachtete er genannten
i Stein näher und staunte nicht wenig, als er, wie die darauf
sichtbaren Zeichen und Figuren deutlich erkennen ließen, wirk-
lich einen Zeitgenossen des großen Cäsar vor sich sah. Im
Städtchen angekommen, verfügte er sich sogleich zum Bürger-
meister und gab diesem die Weisung, den bezcichnetcn Grenz-
stein in die Residenz bringen zu lassen, da er von großer
Wichtigkeit wäre. Tags darauf entbot der Bürgermeister den
Gemeinderath und trug ihm die Sache vor: „Wie Ihr wißt,"
so begann er, „war geschtern der Herr Rcgiernngspräsedent
hier. Mer hawen üwer alles Mögliche dischpctirt, sogar vun
Politik und Gemeindeverwaltung, was ich Euch awer net
näher explizire kann, weil's net Jeder vcrschtcht. Unner An-
nerem hat er mer a de Ufftrag gewe, den große Grenzstein,
Ihr kennt'n jo, in d'Resedcnz fahre zu loste, weil er e koscht-
bar Alterthum wärst s'werd Euch awer All' einleuchte, daß
mer'n so wie er drauß schteht, dem Herrn Präsident net
bringe kenne, dann deß wär e Schand', und ich glab S'Ein-
fachschte werd sein, daß mer'n vum Steinhauer orndlich putze
unn herrichte losten, daß er ach e Ansehne hot." Das Ge-
meindekollegium stimmte wohlgefällig dem Vorschläge bei,
staunend über die Umsicht des klugen Bürgermeisters. Die
beschlossene Renovation wurde vorgenommen und der Stein
dadurch in der Art hcrgerichtet, daß auch nicht mehr eine
Spur von Bild und Inschrift darauf zu entdecken war.
Eine Deputation, mit dem Bürgermeister an der Spitze,
fuhr alsdann, im Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, mit der
so schön und glatt überarbeiteten Antiquität in die Kreis-
Hauptstadt. Die wohl einstudirte Rede lief glücklich von
Stappel, der Präsident lachte herzlich darüber und stattete
schließlich seinen Dank ab. Warum er einen Augenblick später
beim Anblick des Steines in Zorn ausbrach und die Depu-
tation mit Esel und dergleichen traktirtc, warum sie denselben
Die verunglückte Antiquität.
Der Präsident Sanders fuhr auf einer Visitationsreise
durch die Fluren eines Landstädtchens und bemerkte abseits von
i der Straße einen großen Stein, welcher die Gemarkungen
zweier Gemeinden von einander schied. Als großer Freund von
Alterthümern, der um jeden Preis das monumentum anti-
quitatis romanae der Kreishauptstadt mit einigen seltenen
Exemplaren zu bereichern wünschte, betrachtete er genannten
i Stein näher und staunte nicht wenig, als er, wie die darauf
sichtbaren Zeichen und Figuren deutlich erkennen ließen, wirk-
lich einen Zeitgenossen des großen Cäsar vor sich sah. Im
Städtchen angekommen, verfügte er sich sogleich zum Bürger-
meister und gab diesem die Weisung, den bezcichnetcn Grenz-
stein in die Residenz bringen zu lassen, da er von großer
Wichtigkeit wäre. Tags darauf entbot der Bürgermeister den
Gemeinderath und trug ihm die Sache vor: „Wie Ihr wißt,"
so begann er, „war geschtern der Herr Rcgiernngspräsedent
hier. Mer hawen üwer alles Mögliche dischpctirt, sogar vun
Politik und Gemeindeverwaltung, was ich Euch awer net
näher explizire kann, weil's net Jeder vcrschtcht. Unner An-
nerem hat er mer a de Ufftrag gewe, den große Grenzstein,
Ihr kennt'n jo, in d'Resedcnz fahre zu loste, weil er e koscht-
bar Alterthum wärst s'werd Euch awer All' einleuchte, daß
mer'n so wie er drauß schteht, dem Herrn Präsident net
bringe kenne, dann deß wär e Schand', und ich glab S'Ein-
fachschte werd sein, daß mer'n vum Steinhauer orndlich putze
unn herrichte losten, daß er ach e Ansehne hot." Das Ge-
meindekollegium stimmte wohlgefällig dem Vorschläge bei,
staunend über die Umsicht des klugen Bürgermeisters. Die
beschlossene Renovation wurde vorgenommen und der Stein
dadurch in der Art hcrgerichtet, daß auch nicht mehr eine
Spur von Bild und Inschrift darauf zu entdecken war.
Eine Deputation, mit dem Bürgermeister an der Spitze,
fuhr alsdann, im Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, mit der
so schön und glatt überarbeiteten Antiquität in die Kreis-
Hauptstadt. Die wohl einstudirte Rede lief glücklich von
Stappel, der Präsident lachte herzlich darüber und stattete
schließlich seinen Dank ab. Warum er einen Augenblick später
beim Anblick des Steines in Zorn ausbrach und die Depu-
tation mit Esel und dergleichen traktirtc, warum sie denselben
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die verunglückte Antiquität"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 41.1864, Nr. 1016, S. 206
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg