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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0097
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Der Capitelsaal der Kathedrale von Salisbury.

Capitel oder Capitelsaal (capitulum, domus capitularis) hiess der Raum eines Klosters oder eines Dom-
stifts, in dem man sich versammelte um Berathungen oder geistliche Uebungen vorzunehmen. Alle Mönche
hatten, wie es scheint, nicht das Recht diesen Berathungen beizuwohnen; die welche dieses Vorrechts (jus
capituli) genossen, hiessen capitulares monachi. Indessen scheint sich dieses Vorrecht nur auf die Gegen-
wart bei diesen Berathungen (capitulare) und nicht darauf bezogen zu haben den Saal überhaupt zu betreten,
in dem sich alle Mönche jeden Morgen nach der Prime versammelten, um ein Capitel aus der Regel *) zu
hören, die übrigens jeder Mönch auswendig lernen musste. Auch nahm man darin mehrere geistliche Uebungen
vor, wie das Lesen der Martyrologie oder theologische Discussionen; endlich wurden in dem Capitelsaale
auch den Mönchen, die sich einen Fehler hatten zu Schulden kommen lassen, Verweise ertheilt **) und bei
Gelegenheit ihnen auch darin eine Züchtigung gegeben. Der Capitelsaal galt nach dem Altarraum der
Kirche oder dem Sanctuarium für den heiligsten Ort.

Alle Kathedralen und der grösste Theil der Stiftskirchen hatten Capitelsäle, die fast immer einem Kreuz-
gange, mit dem sie in Verbindung standen, angehängt waren wie zu Noyon und zu Salisbury, aber zuweilen
befanden sie sich auch am Ende eines Kreuzarmes der Kirche, wie zu York. Sie hatten gewöhnlich die
Form eines rechtwinkligen Parallelogrammes, das oft nach seiner Länge durch eine Säulenstellung getheilt
war; wir kennen in Frankreich keinen Capitelsaal, der eine andere Form hätte. Aber in England wurde
die rectanguläre Form der Capitelsäle nur ausschliesslich im elften und zwölften Jahrhundert angewendet,
aus welcher Zeit man auch solche mit runden Apsiden an der Ostseite findet wie zu Durham. In der Zeit
des Spitzbogenstyls wurden dort auch elegantere Grundrissformen aufgenommen: so ist der Capitelsaal von
Worcester rund, die Capitelsäle von Salisbury, von York und von Wells sind achteckig, und die von Licht-
field und Lincoln sind eben so polygonförmig. Der Capitelsaal von Westminster zeigt noch eine sehr seltene
wenn nicht einzige Besonderheit, er hat eine Crypta. Wir wissen nicht, wozu sie bestimmt war, aber wir
können vermuthen, dass sie besonders zu Begräbnissen dienen sollte. Man begrub wirklich in den Capitel-
sälen, und es war eine Ehre, die man dem Andenken des darin Begrabenen erwies, dessen Gedächtniss
und Verdienste man bei den Mönchen wach erhalten wollte. Uebrigens bildeten die Capitel nicht immer
besondere und getrennte Räumlichkeiten, sehr oft und besonders in einer späteren Zeit bestanden sie in
einem mehr oder minder grossen Saal, der in einem der Nebengebäude des Klosters lag, aber immer zu
ebener Erde. Auch beweisen historische Documente, dass, wenigstens in carolingischer Zeit die Capitel
manchmal in einer der Galerieen des Kreuzgangs abgehalten wurden

Im Innern sind die Capitelsäle mit steinernen oder hölzernen Bänken in amphitheatralischer Aufstellung
versehen; ein anderes Mal befinden sich die Sitze an den Wänden. Es ist natürlich, dass diese inneren
Anordnungen häufig wechseln mussten. Aber immer findet sich in den Capitelsälen ein Sitz, der höher ist
als die übrigen, er war für den Abt bestimmt, so wie ein Pult für das Buch der Klosterregel. Endlich gab
es nach dem Zeugniss des Mathieu Paris im Mittelpunkte des Saales einen Ort, der le jugement hiess und
für denjenigen Mönch bestimmt war, der auf eine Anklage zu antworten hatte.

Der Capitelsaal der Kathedrale von Salisbury ist der merkwürdigste, den England besitzt. Er liegt im
Osten des Kreuzgangs, mit dem er durch eine Galerie von zwei Traveen in Verbindung steht, und bildet
ein regelmässiges Achteck, an dessen Ecken sich stark vorspringende Strebepfeiler befinden. Er misst im
Inneren von Ecke zu Ecke gemessen 56 Rheinl. Fuss (I7m, 63), und im Aeusseren, die Strebepfeiler mit-
gerechnet, 74 Fuss (23m, 40). In der Mitte des Saales erhebt sich auf achteckigem Sockel eine cylindrische
Säule, die von acht schlanken Säulchen umgeben ist, deren Schäfte in einem Drittel und zwei Drittel ihrer
Höhe von Ringen umgeben sind. Diese Säulen stützen die Rippen des Gewölbes, deren höchster Punkt
50 Fuss (15m, 80) vom Boden entfernt ist. Diese Rippen sind so angeordnet: von dem Mittelpfeiler gehen
nach jeder Ecke des Saales Spitzbogengurte, welche folglich zwischen sich Winkel bilden, die vom Centrum
ausgehen; aus der Mitte jedes dieser Winkel erhebt sich eine Gewölbrippe, die sich im Scheitel des Ge-
wölbes mit zwei anderen vereinigt, welche von jeder Seite der gegenüberliegenden Kämpfer der Spitzbogen-
gurten ausgehen. Da wo die Rippen im Scheitel zusammentreffen, befinden sich verzierte Schlusssteine.
Auf diese Weise bildet das Gewölbe des Saales im Plan einen Stern mit acht Spitzen.

Die Thüre des Saales wird durch einen grossen Bogen gebildet, der wieder in zwei secundäre Oeffnungen
untertheilt ist; die Bogen der letzteren sind mit kleineren Bogen garnirt; die Hohlkehle der Thüreinfassung

*) Ducange theilt eine Stelle mit, die da bestätigt, dass von dieser Gewohnheit die Capitelsäle den Namen Capitel erhalten haben.

Das Wort Capitel fing erst zur Zeit Karls des Grossen an in Gebrauch zu kommen.
"") Daher ist das Wort kapiteln entstanden.
Denkmäler der Baukunst. CXV. Lieferung.
 
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