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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0061
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Die St. Stephans-Kirche in Wien.

Die St. Stephanskirche Wiens ist wie die meisten Kirchen des Mittelalters kein Bauwerk aus einem
Gusse und nach einerlei Plane errichtet, sondern erst nach und nach durch Anbaue und Vergrösserungen
zu dem heutigen grossen Metropolitan-Dome emporgewachsen. Wir kennen die Namen der Baumeister, die
bei diesen Bauten thätig waren, und die Zeit ihrer Wirksamkeit, und verdanken dieses bei den Baudenkmälern
des Mittelalters seltene Glück erstens einem jetzt in dem Archive der Wiener Baumeister aufbewahrten Ver-
zeichnisse der Baumeister und Steinmetzen Wiens,'"') das aus der vormaligen grossen Bauhütte (oder „Stain-
hütte") bei St. Stephan herrührt, und zweitens der Sammlung der Original-Kirchenmeister-Rechnungen von
St. Stephan, die sich in dem Wiener Stadt-Archive aufbewahrt finden und der Magistrats - Archivar Herr
Franz Tschischka bei seiner Beschreibung des Stephans-Domes zu Rathe gezogen hat. Wir geben hier einen
Auszug aus letzterer.

Schon vor dem Jahre 1144 gründete Oesterreichs erster Herzog, Markgraf Heinrich II, von dem Volke
gewöhnlich Jasomirgott genannt, ausser den Ringmauern der kleinen damals kaum aus den Ruinen der römischen
Fabiana neu erstandenen Stadt Wien ein Gotteshaus, dessen Bau so schnell gefördert wurde, dass es schon
im Jahre 1147 von Reimbert, dem Bischöfe von Passau, zu Ehren des ersten christlichen Märtyrers Stephan
eingeweiht werden konnte. Jenes oben erwähnte Verzeichniss der Wiener Baumeister lässt vermuthen, dass
Octavian Falkner aus Krakau der Werkmeister dieses Baues gewesen sei. Der untere Theil der beiden west-
lichen achteckigen Thürme, der sogenannten Heidenthürme, so wie der von ihnen eingeschlossene Theil der
Westfacade ist ein Rest dieses ersten Baues, der in den Jahren 1258 und 1265 Brandschäden erlitt, und
durch eine dritte Feuersbrunst, im Jahre 1275 fast vollständig zerstört wurde. Der Pfarrer Bernhard von
Prambach Hess mit Hülfe König Ottokars II von Böhmen die Kirche wieder herstellen und erhöhen, und
dieser Bau mag schon ganz vollendet gewesen sein, als 1278 Kaiser Rudolph von Habsburg in ihr sein
Dankopfer für die Besiegung König Ottokars darbrachte.

Bis zu Albrechts II Regierung findet sich keine Umgestaltung der Stephanskirche geschichtlich ver-
zeichnet, welcher Herzog dieselbe bedeutend zu vergrössern begann. Er Hess die Westseite, an die im
Jahre 1326 Ritter Ulrich von Tirna und dessen Frau Bertha zur Linken die Kreuzcapelle, er selber die
Eligiuscapelle zur Rechten angebaut hatte, beträchtlich erhöhen, und die Unterkirche ihrer Breite nach bis
zu den jetzigen Hauptmauern erweitern. Auch errichtete er einen Chor, der am 23. April 1340 von Albrecht,
dem Bischof von Passau eingeweiht wurde. Wahrscheinlich erstreckte sich dieser Chor bis an den heutigen
Hochaltar und hatte die Breite des Mittelschiffs.

Unter seinem Nachfolger erhielt der Dom, zum wenigsten dem Plane nach, erst seine gegenwärtige
Gestalt. Rudolph IV, mit dem Beinamen der Stifter, der zuerst den Titel eines Erzherzogs führte, war
gleich im ersten Jahre seiner Regierung 5 358 eifrig bedacht St. Stephan zu verschönern. Er vollendete
nicht nur den von seinem Vater angefangenen Bau des unteren Kirchentheiles mit gänzlicher Schliessung
der Gewölbe und mit Aufsetzung des hohen Daches, worauf derselbe zu Ehren aller Heiligen eingeweiht
wurde, sondern er brach auch den von seinem Vater erbauten Chor wieder ab, und legte am 7. April 1359
den ersten Stein zu dem jetzigen Chore. Die Krone setzte er aber seinem Werke dadurch auf, dass er
die beiden grossen Thürme an der Süd- und Nordseite der Kirche gründete. Meister Wenzla von Kloster-
neuburg war der Baumeister der letzteren, der sie, da die Westfacade schon zwei Thürme hatte und un-
verändert bleiben sollte, über den Enden des OuerschifFs errichtete. Bis zu seinem im Jahre 1404 erfolgten
Tode war der südliche Thurm auf zwei Drittel seiner Höhe emporgewachsen. Die zahlreichen Verzierungen
und Bildsäulen aber, mit denen Erzherzog Rudolph den Bau aussen und innen schmückte, wurden von den
geschickten Meistern Heinrich Kumpf aus Hessen und Christoph Hörn von Dünkelspühl gearbeitet. Die
reichgeschmückten. Portale der beiden unteren Seiteneingänge verdienen hier besonders als Beweise der
Kunstgeschicklichkeit beider genannter Meister aufgeführt zu werden.

Herzog Rudolph starb sehr frühe (1365), seine Nachfolger Herzog Albrecht III und Kaiser Albrecht II
setzten den Bau der Kirche und besonders den des südlichen Thurmes mit Eifer fort. Nach dem Tode
Meister Wenzla's führte sein Gefährte Peter von Brachawitz bis zum Jahre 1429 den Bau des südlichen
Thurmes unausgesetzt weiter, doch erst seinem Gehülfen und Polirer Hanns Buchsbaum oder Hansen Puchs-
baum, der nach Peters Tode als Kirchenbaumeister erscheint, war es bestimmt am vierten Tage nach

*) Oben erwähntes Verzeichniss ist auf zwei grossen hölzernen Tafeln geschrieben und beginnt mit dem Jahre 713! Den Namen
der Meister sind ihre Monogramme beigefügt, und hier und da findet man auch dabei wichtige Baue bemerkt. Leider wird
der geschichtliche Werth dieser Tafeln wenigstens für die älteren Zeiten dadurch sehr vermindert, dass sie 1627 von Simon
Unger von Strandorf und 1641 durch Hans Herstorfer Umgestaltungen erlitten, bei denen die Jahreszahlen nicht gut weg-
zukommen pflegen. Doch verdienen sie immer in zweifelhaften Fällen zu Rathe gezogen zu werden.

Denkmäler der Baukunst. LTV. Lieferung. ©r. ©tepf)rtii6rird)e itt äBteti. 1.
 
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