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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0157
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Das Schloss Meillant.

Eine Folge der italienischen Kriege Karls VIII und Ludwigs XII war die nach Frankreich verpflanzte
grosse Liebe zum Luxus, die für die Völker Italiens characteristisch ist. Zu keiner anderen Zeit der
Geschichte Frankreichs sah man in der That so kostbare Kleider, so reiche Hausgeräthe, so prächtige
Wohnhäuser.

Frankreich hat eine ziemlich grosse Zahl dieser adligen und bürgerlichen Schlösser aus der ersten
Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts bewahrt, die in ihrem aussergewöhnlichen Aufwände mit den
berühmtesten Palästen Italiens wetteiferten, und den Künstlern damaliger Zeit glänzende Gelegenheiten
boten ihrem fruchtbaren Erfindungsgeiste Schwung zu geben. Ihre Werke, in denen sich nur zu oft die
Kunstbildung der Erfinder nicht auf gleicher Höhe mit ihrer Phantasie befindet, haben demohnerachtet
grösstenteils ein monumentales Aussehen und zeigen einen merkwürdig complicirten Character, der aus
dem Einflüsse militärischer und feudalistischer Traditionen, aus dem schwülstigen Baustil der Zeit, und
aus dem ßedürfniss nach Comfort, das sich damals auszubreiten anfing, hervorging.

Während der ganzen Dauer des Mittelalters war Sicherheit die erste Bedingung für die Wohnungen
des Adels, daher denn die von ihm erbauten Wohnsitze keinen anderen als den Burgen character haben,
wo alles sich den Notwendigkeiten der Verteidigung unterordnet. In diesen nur von Schiessscharten
durchbrochenen dicken Mauern, in diesen hochragenden Thürmen konnte es nur traurige und unbequeme
Wohnungen geben, und man richtete sich nur darum in ihnen ein, weil sie gute Sicherheit gegen einen
Ueberfall gewährten. Als aber die mehr befestigte königliche Macht den Aufstand ihrer Vasallen fast
unmöglich gemacht hatte, da hörten die letzteren natürlich auf aus ihren Wohnsitzen feste Plätze
zu machen, die eine regelmässige Belagerung aushalten konnten, was überdies mit dem allgemeiner
werdenden Gebrauch der Kanonen jeden Tag schwieriger wurde. Man kam auf diese Weise dahin, einen
Unterschied zwischen zwei Dingen zu machen, die früher nur eines ausgemacht hatten; man unterschied
nun zwischen dem Schloss, das einen strategischen Zweck hatte, und zwischen dem Schloss, dass zum
WTohnsitz dienen sollte. Bald hatte selbst der Adel nur die letztere Art zu bauen. Jetzt konnte man
nun den neuen Schlössern bequem angeordnete und vertheilte Zimmer geben, ihnen Heiterkeit der Lage
und des Anblicks gewähren, man konnte ihnen endlich den Glanz der Decoration verleihen, was Alles
die früher erbauten Schlösser niemals gehabt hatten; und wenn man sie noch mit Thürmen flankirte,
wenn man sie noch mit einem Donjon versah, so geschah es, weil diese Dinge ein Emblem der Vorrechte
des Adels geblieben waren.

Das Schloss Meillant im Departement du Cher ist eines der schönen Beispiele jener reichen Renaissance-
Wohnhäuser, die mehr von der Villa denn von der Burg haben. Es wurde auf Befehl des berühmten
Cardinais Amboise während der Abwesenheit seines Neffen, Carls von Amboise, des Herrn von Chaumont,
erbaut, der im Jahre 1500 zum Gouverneur von Mailand ernannt worden war. Es datirt also aus dem
sechszehnten Jahrhundert mit Ausnahme einiger romanischer Theile, die dem älteren Schlosse, das vor
dem jetzigen bestand, angehören, und mit Ausnahme einiger im siebenzehnten Jahrhundert nach einem Brande
vorgenommenen Neubauten. Der Thurm von Meillant war einst ein Theil der alten Herrschaft Charost,
die, nach unter dem 6. August 1690 einregistrirten Urkunden, zu einem Herzog - Pairthum zu Gunsten
Louis-Armands, des Marquis von Bethune, erhoben wurde.

Das Schloss Meillant, das nach einer wahrscheinlich falschen Tradition von Fra Giocondo erbaut
worden sein soll, ist wie man aus dem Grundriss sieht, ohne alle Symmetrie erbaut. Die Facade, die
viele Fenster hat, zeigt durchaus keine Einheit und giebt eher die Idee einer Agglomeration von ver-
schiedenen Bauten als eines einheitlichen Baues. Man bemerkt an ihr schöne Dachfenster und einen
dicken vieleckigen reichverzierten Thurm, in dem sich eine Treppe befindet. Die verschlungenen CC, die
man an der Facade ausgehauen sieht, sind die Anfangsbuchstaben des Namens des ersten Besitzers Carl's,
Herrn von Chaumont, und die anderen Embleme, flammende Berge (chauds monts~), sein sprechendes Wappen.

An einer der Ecken des Schlosses befindet sich ein viereckiger Thurm mit Machicoulis, der den
Donjon bildet, der bekanntlich das Lehngut repräsentirte. Dieser Thurm hat ein pyramidales Dach, das
als Krönung zwei hohe Eisenstangen mit Wetterfahnen trägt, die durch eine Verzierung der Dachfirste
mit einander verbunden sind.

Die Schlosskapelle, die eine seltsame und unglückliche Grundrissform hat, ist getrennt von dem
eigentlichen Schlosse nach einem im sechszehnten Jahrhundert ziemlich allgemeinen Brauche; sie besteht

Denkmäler der Baukunst. CXII. Lieferung.
 
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