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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0196
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Die Halle der Landsknechte (Loggia dei Lanzi) in Florenz.

Auf dem Platze des Grossherzogs in Florenz kann man so zu sagen einen vollständigen Cursus der
Geschichte florentinischer Kunst machen; an ihm liegt auch die Loggia dei Lanzi, die Halle der Lands-
knechte oder der deutschen Soldaten. Im Jahr 1355 hatten die Florentiner mehrere Häuser gekauft um
den Platz an dem Palaste der Signoria, welcher heute den Namen Piazza dei Gran Duca führt, zu ver-
grössern; sie wollten daselbst eine prächtige Halle erbauen, wo das Volk, das sich auf den Schall der
Glocken von dem Thurme des alten Rathspallastes, des Palazzo vecchio, versammelt hatte, die Gesetze
der Republik verlesen hören konnte. Daselbst wurde auch der Gonfalionere in sein Amt eingesetzt, und
unter seinen Bogen, die man die Rostren von Florenz nennen kann, erhielten die Generale ihr Commando
wie die Insignien der Ritterwürde. Für die Anfertigung des Entwurfs zu dieser Halle wurde eine Con-
currenz ausgeschrieben, an der jeder Künstler sich betheiligen konnte, eben so zu gleicher Zeit eine für
den Bau einer Münze. Der Entwurf Andrea's di Cione, den Vasari Orcagna nennt, wurde einstimmig als
der beste erkannt. Die Loggia dei Lanzi wurde im Jahre 1375 aus Hausteinen auf den Fundamenten
erbaut, die zur Zeit Walther's von Brienne, Herzogs von Athen im Jahre 1343 gelegt worden waren.

Diese Loggia oder Halle ist ein grosser offener Porticus, der auf vier viereckigen Pfeilern ruht, die
mit denen im Dome S. Maria dei fiore grosse Aehnlichkeit haben. Die Pfeilerknäufe scheinen im All-
gemeinen ihre Anordnung dem zierlichen korinthischen Säulencapitell zu entlehnen, aber sie besitzen nicht
die Zartheit und Grazie der letzteren. Die Bogen der Halle sind gegen den damaligen Gebrauch in
Toscana nicht Spitzbogen sondern Rundbogen. Das Studium der Antike verdrängte nach und nach die
Einflüsse nordischer Architectur; der Halbkreisbogen der Loge des Andrea di Cione ist eines von den
unzähligen Beispielen und unser Künstler einer der ersten Architecten, die die Details des florentinischen
Spitzbogenstyls bei ihren neuen Bauten verlassen. Er ist einer der ersten dreisten und in ihren Concep-
tionen originellen Architecten, die der Kunst jene Richtung zu geben anfingen, die man die Wiedergeburt
derselben zu nennen pflegt. Wir machen hier auf das Factum aufmerksam, dass die Loge dei Lanzi als
ein für profane Zwecke bestimmtes Gebäude die Reminiscenzen der kirchlichen Architectur ausschloss,
die Thürmchen, die Spitzbogen und alle jene architectonischen Formen, die bei den dem Cultus gewid-
meten Gebäuden jener Zeit noch immer in Anwendung waren.

Es geschah zu Florenz am Ende des XIV Jahrhunderts genau dasselbe, was auf französischem Boden,
zu Rouen, am Anfang des XVI geschah: Roullant le Roux baute unter dem Cardinal Amboise im Jahre
1509 den zwischen den beiden westlichen Thürmen befindlichen Theil der Kathedrale von Rouen. Derselbe
ist ganz in dem style fiamboyant, dem kirchlichen Baustyl jener Zeit ausgeführt; hingegen bei dem Grab-
mal der Amboise in der Kathedrale von Rouen *■) wendete derselbe Architect den aus antiken Elementen
gebildeten Renaissancestyl an, den er ebenso auch bei der schönen und eleganten Galerie des hötel
Bourgtheroulde, an der man die schönen Basreliefs des camp du Drap d'Or bewundert, anwendete. WTir
sind der Ansicht, dass die gleichzeitige Anwendung beider Style durch einen und denselben Architecten
nicht ein Werk des reinen Zufalls sei oder aus einer blossen Künstlerlaune hervorging. In der Zeit, von
der wir sprechen, war das religiöse Gefühl, obgleich in den Massen sehr geschwächt, doch noch immer
mächtig genug um die Künstler zu verpflichten den kirchlichen Styl nicht bei Profanbauten anzuwenden.
Der Zweck zu dem die Loge der Lanzi bestimmt war, gestattete ihrem Baumeister eine Neuerung, von
der die Wiederaufnahme des klassischen Styls datirt, wie solcher in Italien unter den römischen Kaisern
geübt wurde. Andrea di Cione hatte ohne Zweifel den alten Monumenten, welche damals in noch
viel grösserer Zahl als heute Italien's Zierde waren, seine Aufmerksamkeit zugewendet. Sein Geschmack
trieb ihn sie nachzuahmen, und in dem Altar-Tabernakel von Or San Michele **) hat er ebenfalls den
Halbkreisbogen angewendet. ***)

Das Aussehen der Loge der Lanzi ist im Allgemeinen elegant und edel. Die Kreuzgewölbe, deren
Diagonalrippen den Halbkreisbogen bilden, sind mit grosser Dreistigkeit über ihren Stützen ausgespannt.
Da letztere für sich allein nicht stark genug waren, um den gehörigen Widerstand gegen den Seitendruck

*) "Wir verweisen auf die Abbildungen dieses Grabmals und auf den Aufsatz darüber in unserer Sammlung.
**) M. s. denselben und den Aufsatz über ihn in unserer Sammlung.
***) Dieses Factum beweisst, dass jener von dem französischen Verfasser, Herrn D. Ramee oben aufgestellte Satz, der
Rundbogen sei aus Gründen der Pietät und Religiosität bei kirchlichen Gebäuden im XIV Jahrhundert in Florenz ver-
mieden worden, nicht so ausschliesslich zu nehmen sei. Der Rundbogen war überhaupt Italien und seiner Baukunst
eigenthümlich und wurde daselbst nur eine Zeit lang durch den Spitzbogen verdrängt, als der gothische Baustyl von
Frankreicli über Deutschland südlich bis nach Toscana sich ausbreitete. Der Spitzbogen des eingewanderten gothischen
Baustyls wäre daher für Italien eher eine Neuerung zu nennen als der dort einheimische Rundbogen. L. L.

Denkmäler der Baukunst. CXXXXIII. Lieferung.


 
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