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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0118
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Die Choreinfassung der IVotre-Bame-Kirche von Paris.

Im Anfang des XVII Jahrhunderts, als die Notre-Dame-Kirche von Paris noch nicht jene moderne
Umgestaltung erfahren hatte, durch die man sie damals zu verschönern meinte, inuss sie ein Museum von
höchstem Interesse dargeboten haben. Ihre ursprüngliche Decoration war zu jener Zeit beinah noch un-
berührt; prächtige gemalte Gläser schmückten ihre Fenster, ihr Fussboden war mit merkwürdigen Grab-
steinen bedeckt; ihr Schatz hatte noch Ueberfluss an den kostbarsten Gegenständen, kostbar sowohl wegen
ihres Alterthums als auch wegen der Stoffe, aus denen sie gebildet waren. Jetzt ist von alle diesem nichts
mehr vorhanden; theils ist der Sturm der Revolution, theils ist der Vandalismus für das Klassische — noch
zerstörender wie der erstere und weniger zu entschuldigen — über das unglückliche Gebäude hingefahren.
Der eine hat die alten Kelche und Reliquienkästen eingeschmolzen und hier und da einige Köpfe der Hei-
ligen heruntergeschlagen; der andere hat das Gebäude und seine Sculpturen unter unzähligen Lagen einer
schmutzigen gelben Tünche verhüllt, seine Glasgemälde vernichtet, seine Grabsteine bei Seite geschafft, sein
Portal verstümmelt, seine Nebenschiffe verunstaltet, und, was nicht das geringste seiner Verbrechen ist,
beinah die halbe prächtige Choreinfassung *) abgebrochen. Diesen Akt der Rohheit haben in der That die
Domherrn um das Jahr 1699 begangen. In ihrer wahrhaft unbegreiflichen Verblendung haben sie nicht
einmal die knieende Statue des naiven Bildners verschont, dessen Werk wir auf unsern Tafeln zu repro-
duciren versucht haben. Diese Statue, die mit zur Einfassung des Chors gehörte, stand der porte rouge
gegenüber, unter ihr befand sich folgende glücklicher Weise bis auf uns gekommene Inschrift in gothischen
Lettern:

Cest mcristre Jeh,an Ea»rj qui fust masson **) T>e JTostre Warn t>z flaris par les»ace fce 3DTD3 ans et commenca
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Man kennt also mit voller Bestimmtheit die Zeit der Vollendung der Choreinfassung der Notre-Dame-
Kirche und den Namen der sie ausführenden Künstler. Zu diesem seltenen und glücklichen Umstände ge-
sellt sich noch ein zweiter; wir kennen nämlich auch den Namen eines Domherrn, der zweihundert Pariser
Livres zur Errichtung dieser Choreinfassung beitrug, und daher wohl als ihr Gründer zu betrachten ist.
Dieser Domherr hiess Pierre de Fayet; seine Statue, die vordem im südlichen Seitenschiff nahe im Fond
der Apsis stand, hat sich noch erhalten; sie befindet sich jetzt in den Ateliers des Museums von Versailles,
von wo man sie wohl in die Kathedrale zurückbringen sollte. Diese Sculptur zeigt uns den frommen Do-
nator knieend mit gefaltenen Händen zwischen zwei Säulchen, über seinem Haupte ist sein Wappenschild
zu sehen, und ein wenig hinter der Figur liest man folgende Inschrift:

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Die seitdem oft wiederholte Anordnung der Choreinfassung von Notre-Dame besteht darin, dass diese
Wand — von der noch heute ein 56 Rheinl. Fuss (17m 70) langer Theil steht — an der Aussenseite mit
spitzbogigen Arcaden decorirt ist, die gleichsam den Unterbau für eine Reihe von Reliefs bilden, welche
in ihrer Ganzheit eine Geschichte Christi in Bildern liefern sollten. Jetzt, wo die Choreinfassung nur die
drei ersten Traveen des Chores einnimmt, ist diese Geschichte sehr unvollständig; die Hauptscenen der-
selben wie die Kreuzigung, die Grablegung und die Auferstehung fehlen. Es ist übrigens nicht leicht sich
Rechenschaft von der Ordnung zu geben, in der die Reliefs aufgestellt sind; so findet sich die Heimsuchung,
das erste Sujet von allen, in der Nähe des vierten nördlichen Pfeilers, ***) und die Darstellungen folgen in

*) Ueber die Chorschranken im Allgemeinen verweisen wir auf unsern Aufsatz über den Lettner der St. Magdalenenkirche in Troyes.
**) Masson ist im Mittelalter gleichbedeutend mit Baumeister. Die Baumeister des Mittelalters waren auch Steinmetzen, lapieidäe.
***) Man sehe die perspectivische Ansicht.
Denkmäler der Baukunst. CXX. Lieferung.

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