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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0072
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Utes Bürgerhaus in Manöver.

Wenn man eine Charte von Deutschland zur Hand nimmt, so sieht man auf den ersten Blick, dass
der nördliche Theil dieses Landes eine grosse von Strömen durchfurchte Ebene bildet, die von den Gebirgen
herabkommen und in ihr den Schlamm und Sand absetzen, den sie mit sich führen. Da giebt es keine
Gebirge mit Steinbrüchen. Der Sandstein, den man da anwendet, kömmt aus grosser Entfernung von
Pirna an der Elbe. Aber dieser Baustein ist theuer und sein Transport in die Ferne sehr kostbar. Man
hat ihn im Mittelalter bei Bauten sehr wenig angewendet; heut zu Tage macht man von ihm nur bei
grossen Staatsbauten Gebrauch und bedient sich seiner immer nur mit der grössten Oekonomie. Als man
in diesen Gegenden aufhörte in Holz zu bauen, da griffen die Baumeister zu einem künstlichen Stein;
man baute mit gebrannten Ziegeln. Selten ist es, dass die zur Fabrication der Ziegel erforderliche Erde
an den Ufern der Flüsse und Bäche sich nicht fände. Von der Ems bis zur Weichsel sind alle Bauwerke
des Mittelalters solid und geschickt aus gebrannten Ziegeln aufgeführt. Ihre Geschichte und das Studium
ihrer Architectur hat Veranlassung zu sehr interessanten archaeologischen Untersuchungen gegeben und
giebt sie noch; aus der Summe derselben wird eine Geschichte der Baukunst des nordöstlichen Europa
als Resultat hervorgehen.

Bei dem Ziegelbau musste die Ornamentation nothwendiger Weise sehr einfach sein; sie beschränkte
sich meist auf Friese und Rosetten. Manchmal sind jedoch auch die Säulencapitelle aus gebranntem
Thon, aber oft auch aus Haustein gemacht. Die mittelalterlichen Ziegelbauten haben keinen Mörtelabputz;
sie sind mit Sorgfalt gemauert und die Fugen glatt mit Mörtel ausgestrichen. Oft auch hat man der
Oberfläche der Ziegel durch Glasirungen verschiedene Farben gegeben, wie Schwarz, Braun, Grün und
Gelb, welche von dem gewöhnlichen Roth der Ziegel gut abstechen und Veranlassung zu verschiedenen
musivischen Verzierungen der Wandflächen, wie auch zur Bildung markanter Simswerke gegeben haben.
Die glasirten Ziegel sind eben so fest wie der härteste Haustein. Bei den Gebäuden von Ziegelarchiteetur
herrschen die glatten Flächen vor, die Decoration beschränkt sich auf die Einfassungen von Thüren und
Fenstern, auf Friese und Gürtungen.

Von den im nördlichen Deutschland im Ziegelstyl aufgeführten Bauwerken nennen wir hier die schöne
Liebfrauenkirche und den Dom in Lübeck, die Kathedrale von Ratzeburg und die Kirche zuMöln in Holstein,
die verschiedenen Kirchen Hamburgs, die Nicolaikirche in Stralsund aus dem XIV, die Marienkirche zu
Stargard in Hinterpommern aus dem XIV und XV Jahrhundert, die schöne Katharinenkirche in Brandenburg,
deren Bau im Jahre 1401 begonnen wurde, die Kirche zu Prenzlau und die Marienkirche zu Danzig.
Von Profanbauten wollen wir nur die schönen Rathhäuser zu Tangermünde in der Altmark, zu Königsberg
in der Neumark und zu Stargard in Hinterpommern (aus dem XVI Jahrhundert) erwähnen. Eines der
merkwürdigsten und grössten Ziegelbauwerke des Mittelalters ist aber das Schloss der deutschen Ritter
in Marienburg an der Nogat.

Aber auch wenn man sich dem Rhein nähert, trifft man eine Unzahl von Gebäuden des Ziegelbaues
an; so zeigt uns die Stadt Hanover einige in diesem Styl erbaute Kirchen und eine grosse Menge von
Bürgerhäusern; fast in jeder ihrer Strassen begegnet man einem im Ziegelstyl vom XIII bis zum XVI
Jahrhunderte errichteten Gebäude. Die Stadt Hanover war blühend im Mittelalter, sie gehörte mit dreizehn
anderen Städten des jetzigen Königreichs Hanover zu der grossen Handelsverbindung des Nordens, der
Hanse. Unsere Kupfertafel zeigt eines von den vielen alten Häusern dieser Stadt, das in der Koebelinger
Strasse gelegen ist. Sein Styl lässt uns dasselbe in das Ende des XIV oder in den Anfang des XV
Jahrhunderts setzen. Es ist ganz aus Ziegeln erbaut und hat wie alle Häuser des Mittelalters den Giebel
nach der Strasse gekehrt. In der Mitte des ebenerdigen Geschosses befindet sich der Thorweg, in den,
wie in allen Handelshäusern des Nordens, die Waaren eingebracht wurden. Zur Rechten und Linken
dieses Eingangs lagen die Handelswaaren zum Verkauf ausgebreitet und die Comptoire; darüber die Wohn-
räume des Handelsherrn und seiner Familie. Auf den Böden, die die beträchtliche Höhe von 30 Fuss
hatten, waren die Waaren aufgespeichert.

Die Spitzbogenthür hat eine Einfassung von Kehlen und Rundstäben; sie liegt in einer kleinen, oben
von einem Kreissegmentbogen geschlossenen Vertiefung der Facadenniauer, deren lothrechte Pfeiler und
Bogen mit einem Simswerk gesäumt sind, das wie ein Rahmen die Spitzbogenthür umgiebt. Darauf folgt
ein Fries von 15 Zoll Höhe, der mit einem Netz spitzer Vierblätter verziert ist, eine sehr gewöhnliche
Verzierung dieser Bauzeit. Ueber diesem Friese befinden sich die fünf Fenster der Wohnetage mit scheit-
rechtem Sturze. Ein zweiter Fries, ähnlich wie der erste, trennt dieses Stockwerk von dem abgetreppten
Giebel, der drei Reihen Fenster und vier Stufen-Absätze zeigt. Die beiden letzten Fenster in jeder Reihe

Denkmäler der Baukunst. LXX. Lieferung.
 
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