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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0168
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Die Kirche St. Franciscus zu Assist.

Die kleine Stadt Assisi in der Provinz Umbrien des römischen Kirchenstaates, drei und eine halbe
Meile nordwestlich von Spoleto auf einem Berge gelegen, hatte schon im Alterthume einige Wichtigkeit,
wie man aus dem schönen der Minerva geweihten Tempel schliessen kann, den man noch heute
auf dem Hauptplatze der Stadt sieht, und der schon in den ersten Zeiten des Christenthums zu einer
Kirche umgewandelt wurde. Die Stadt wurde im XII. Jahrhundert als Geburtsort des heil. Franciscus
berühmt, der im J. 1209 den Orden der Fratres minores oder der Minoriten gründete, und am 4. October
1226 daselbst starb. Zum Gedächtniss dieses eifrigen Dieners der Kirche wurde die schöne mit aller
Pracht der Architectur und Malerei ausgestattete Kirche im Spitzbogenstyl erbaut, von der wir hier die
Zeichnungen mittheilen. Sie wurde um die Zeit der Canonisation des Heiligen im J. 1228 angefangen
und zu seines Namens Ehre im J. 1253 geweiht.

Der Ordensbruder Elias, der Nachfolger des heiligen Franciscus im Generalat seines Ordens, fasste
den Plan zur Erbauung eines Klosters und der dazu gehörigen Kirche, und betrieb den Bau derselben
mit unermüdlichem Eifer; zum Bauplatze hatte er den Abhang eines Hügels ausgewählt, der früher
als Gerichtsstätte gedient hatte und daher collis inferni hiess. Die Beschaffenheit des Bauplatzes erlaubte
es zwei Kirchen über einander zu erbauen, und darunter noch eine Crypta oder Gruftkirche anzubringen,
die dazu bestimmt war, die sterblichen Ueberreste des heiligen Franciscus aufzunehmen. Von den beiden
oben erwähnten über einander erbauten Kirchen liegt die untere im Niveau des geräumigen Klosterhofes,
dessen eine Gränze sie bildet. Von hier aus gesehen gewährt die Kirche einen malerischen Anblick,
mächtige Strebepfeiler wirken dem Schub der Gewölbe der unteren Kirche entgegen und tragen Strebe-
bögen, die zu gleichem Zweck als Widerlager für die leichteren Gewölbe der Oberkirche construirt sind;
an der nördlichen Seitenfacade der Kirche und im W'inkel des Vorhofes derselben erhebt sich ein hoher
viereckiger Thurm von sechs Stockwerken, von einer den italienischen Glockentürmen dieser Zeit ge-
wöhnlichen Architectur.

Die Crypta, deren Gestalt man aus den punktirten Linien des Grundrisses Fig. 1 auf Tafel 2 und
aus dem Längen- und Ouerprofil der Kirche ersehen kann, ist, wie aus den antiken Architecturformen
deutlich zu erkennen, in später Zeit umgebaut worden. Man steigt zu ihr auf zwei im Schiff der unteren
Kirche symmetrisch angeordneten Treppen hinab, oder gelangt zu ihr vom Kloster her durch einen Eingang,
der sich hinter der Apsis der Kirche befindet, und zur Cornmunication des Klosters mit der Kirche dient.

Der Grundriss der Unterkirche, in unserer Zeichnung heller schraffirt, ist durch den Glockenturm
und einige angefügte Capellen unsymmetrisch geworden. Eine Terrasse, die die Westfagade der
Oberkirche trägt, gestattet nicht den Eingang in die Unterkirche von derselben Seite her wie in die
Oberkirche; man tritt in die erstere durch eine Seitenpforte ein, die sich in dem ersten gegen Westen
gelegenen Ouerschiff befindet, dessen Fond (gegen Süden und Westen) zwei Capellen mit polygonalem
Schluss bilden. Rechtwinkelig auf das EingangsschifF ist das Hauptschiff der Kirche gerichtet, so wie
auch das einzige zugängliche Nebenschiff; das andere ist durch den Glockenthurm verbaut worden. Der
gothische Hauptaltar befindet sich in der Durchkreuzung des Querschiffs mit dem Langschiffe; derselbe
ist von einem Gitter umgeben, das zwischen Renaissancepilastern befestigt ist, die einen Architrav mit
Kranzgesims tragen, auf dessen Ecken Engelfiguren stehen. Eine halbkreisrunde Apsis schliesst das
Hauptschiff; an der Wand derselben befinden sich Reihen von Chorstühlen; und über denselben, in der
Höhe des Kämpfers des Halbkuppelgewölbes, zieht sich bis zum Querschiff eine vorspringende Galleriß
für die Mönche hin.

Die Proportionen dieser Unterkirche sind sehr kurze und gedrungene; niedrige Pfeiler tragen die
grossen Halbkreisbogengurte, die die Travees scheiden, und die Rippen der nach dem Spitzbogen con-
struiiten Kreuzgewölbe über den Travees. Diese bald über dem Boden beginnenden Gewölbe geben
dieser Unterkirche das Ansehen einer Crypta; die Einfachheit der Simswerke, die Strenge ihrer gemalten
Decoration, der Ernst der religiösen Bilder, die die Wände überall bedecken, zuletzt noch das wenige
Licht, das in diesen heiligen Raum von aussen eindringt, verleiht demselben einen eigenthümlichen
schwer zu beschreibenden Character. *)

An den Enden des östlichen und westlichen QuerschifFs sind in späterer Zeit Capellen angebaut
worden; ihre schlanken Säulchen, ihre Wandbilder und die Sculptur ihrer Capitäle bezeugen es hinlänglich,
dass sie nicht aus derselben Zeit als der Hauptbau der Unterkirche datiren; sie sind mit dem südlichen

*) Granet giebt denselben in einem berühmten Bilde dieser Kirche wieder, das sich jetzt in dem Museum des Palais Luxem-
burg zu Paris befindet.

Denkmäler der Baukunst. LVII1. Lieferung.
 
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