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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0199
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Das Ciborium in der Kirche St. Paul ausser den Mauern Roms.

Die Kirche St. Paul ausser den Mauern Roms, die von Constantin dem Grossen gegründet und
von seinen Nachfolgern vergrössert wurde, ist eine der grössten und berühmtesten Kirchen aus den ersten
Jahrhunderten des Christenthums. Gewiss Hess die Munificenz der Kaiser von Anfang an auf dem Grabe
des Apostels ein Ciborium errichten, das würdig war die Blicke der Frommen zu fesseln, die von allen
Seiten der christlichen Welt nach dem Grabe des heiligen Märtyrers wallfahrteten. Dieses Denkmal ging
unter, nachdem es seiner Kostbarkeiten durch die Barbaren beraubt worden, die mehr als einmal das
christliche Rom ausplünderten. Am Ende des XIII Jahrhunderts wurde es in einem ganz anderen Style
als früher wieder errichtet, in welcher Gestalt wir dasselbe sogleich kennen lernen werden. Bei dem
grossen Brande der Paulskirche im Jahre 1822 entging es wie durch ein Wunder seiner Zerstörung.

Das ganze Ciborium besteht aus vier Säulen, die den Ecken des Altares gegenüber sich erheben
und eine gewölbte Decke tragen, die sich über dem Altare ausspannt. Es bildet mit seiner Decoration
ein kleines vollständiges Bauwerk, das an die Grabmonumente oder Memoriert erinnert, die sich über den
Gräbern der Märtyrer erheben. An dem Gewölbe des Ciboriums hing man die Schachtel für die Hostie
in Gestalt einer Taube an, deren Stelle später — als es Brauch wurde, das Sacrament in einem beson-
deren Schränkchen zu verwahren — die ewige Lampe einnahm. Zwischen den Säulen des Ciboriums
hingen Vorhänge von kostbarem Stoffe herab, um den Altartisch während eines Theils des Gottesdienstes
den Blicken der Gemeine zu entziehen, wie dies noch heute in der griechischen Kirche Sitte ist.

Der Name Ciborium, mßwQiov ist nicht ganz deutlich. Du Gange*) bemerkt hierüber: „Aus Athenäus
und Hesychius erfahren wir, dass xißcoQiov bei den Aegyptern eine Art Becher ist, und der Scholiast Por-
phyrio sagt zu der Stelle des Horaz Od. II, 7: „Oblivioso levia Massico Ciboria exple" Ciborium sei eine
Art Becher, die nach Art der Kolokasienblätter gemacht sei, deren Deckel in eine etwas spitze Form
endet, welches die Form der Ciborien war. Andere leiten es von tdßog oder mßonög ab, welche Worte
einen Kasten bedeuten, wie Germanus*'') öfter das Ciborium nennt."

Bekanntlich sind Bauwerke des Spitzbogenstyls selten in Rom; nur die Kirche S. Maria sopra
Minerva zeigt einige in diesem Style erbaute Theile, auch ist die italienische Gothik von der nordischen
sehr verschieden. Indessen finden sich in Rom Kirchenmeubles und Grabmonumente sehr häufig in diesem
Style ausgeführt. Von Ciborien im Spitzbogenstyl hat man daselbst vier Beispiele: 1) zu S. Johann im
Lateran, 2) zu S. Cecilia in Trastevere, 3) zu S. Maria in Cosmedin, 4) zu S. Paul ausser den Mauern
Roms; das letztere Ciborium sehen wir auf den drei Kupfertafeln unseres Werkes dargestellt.

Eine Dedications - Inschrift über dem vordersten Bogen dieses Ciboriums (m. s. die Detailstafel)
zeigt uns an, dass der Abt Bartholomäus im Jahre 1285 dieses Werk errichten liess, zwei kleinere
Inschriften am Fusse der vorderen Eckthürmchen besagen, dass Arnolfus und die Seinigen (cum suis)
diese Arbeiten ausführte. Man ist also über die Hauptpunkte der Geschichte dieses Denkmals ganz im
Klaren, man weiss das Datum seiner Errichtung, man kennt die Namen des Stifters und des Künstlers.
Wir brauchen dasselbe also nur noch zu beschreiben.

Die vier Säulen des Ciboriums von St. Paul sind von Porphyr, ihre Capitelle von weissem Marmor;
letztere sind alle verschieden gebildet und reich mit Blättern im Geschmack des italienischen Mittelalters
verziert. Ueber den Capitellen erheben sich vier Ecknischen mit Statuen der Apostel, daneben kleine
Säulchen; sie bilden das Widerlager für die Spitzbogen (sogenannte Kleeblattbogen), deren dreispitzige
Archivolten mit Mosaiken verziert sind. Die Felder zwischen den Spitzbogen und den Ecksäulchen sind
mit Reliefs geschmückt; an der gegen das Hauptschiff der Kirche zugewendeten Seite hat der Künstler
den Donator des Werkes gebildet, dem ein Klosterbruder Mitra und Bischofsstab hält, ihm gegenüber
auf dem entgegengesetzten Felde der Apostel Paulus. Ein im Detail recht zartes Kranzgesims krönt den
eben beschriebenen Theil des Ciboriums und trennt ihn von dem oberen, an dessen vier Ecken sich schlanke
Thürmchen erheben, die durch ihr Gewicht der Construction des Ganzen mehr Festigkeit geben und zugleich als
Widerhalter der gewölbten Decke dienen. Zwischen diesen Thürmchen steigt an allen vier Seiten des Ciboriums
ein Giebel auf, der von einem einfachen Simswerk mit sogenannten Krappen — den frei vorspringenden
Blättern an den Kanten der Giebel und der Pyramiden gothischer Thürme und Thürmchen — gekrönt ist.

Das Giebelfeld (m. s. die erste Tafel der Details) ist mit einem reichen musivischen Muster ge-
schmückt; die Giebelspitze schmückt ein Kleeblatt, das aus drei kreisrunden Porphyrscheiben mit musivisch
verzierten Rändern gebildet ist; die Mitte des Giebels ziert eine schöne Fensterrose, die aus acht kleinen

*) M. s. dessen Constantinopolis christiana unter Ciborium der S. Sophia.
'*) Patriarch von Constantinopel von 715 — 730, f 740.

Denkmäler der Baukunst. LXXX. Lieferung.
 
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