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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0078
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Der bischöfliche Palast in Luttich.

Alle Bauwerke der Renaissance zeigen mit wenigen Ausnahmen ähnliche Formen, die ihren gemein-
samen Ursprung leicht ahnen lassen in dem Studium der antiken Monumente und in der Uebertragung
ihrer Formen auf neue Bauwerke. Dies beweist uns die Baukunst des vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhunderts in Italien, die des sechszehnten in Frankreich und Deutschland, eben so auch die spanische
Renaissance. In England war dies anders: die Römer hatten dort wenig grosse Bauwerke hinterlassen,
und zu der Zeit, wo die anderen europäischen Völker sich den antiken Kunst-Traditionen zuwendeten,
erschuf sich England eine besondere Renaissance, von den englischen Antiquaren der Tudor-Styl genannt,
der mit der Regierung Heinrichs VIII um 1509 beginnt und bis zur Mitte des sechszehnten Jahrhunderts
dauert, wo der Elisabeth-Styl*) ihn ablöst.

Zu den Bauwerken, die eine Ausnahme von der allgemeinen oben angeführten Regel machen, gehört
der bischöfliche Palast in Lüttich, der durch die Eigenthümlichkeit seines Styls und durch die Sonder-
barkeit seiner Detailsformen merkwürdig ist. Derselbe ist in seiner Art einzig und vereinigt in sich
Reminiscenzen der französischen Baukunst des fünfzehnten Jahrhunderts mit einigen Detailsformen des
Tudor-Styls. In einem Lande befindlich, das an Frankreich stösst, dessen Küsten so zu sagen nach
England sehen, das im Osten an Deutschland gränzt, scheint das bischöfliche Palais in Lüttich zum Theil
den gleichzeitigen Baustyl dieser drei Länder in sich zu vereinigen. Man sieht an ihm französische
Eleganz, englische Nüchternheit und Monotonie, und deutsche Lust an reichem und wechselndem Ornament.

Der unbekannte Baumeister des bischöflichen Palastes hatte eine fruchtbare Imagination und phan-
tastische Ideen, die er vielleicht noch genährt hatte durch die Leetüre der wunderbaren Erzählungen von
den Reisen des Chevaliers Jan van Mandeville, der nach seinem Besuch der drei damals bekannten Welt-
theile in Lüttich seine Reise beschrieb, wo er 1372 starb. Was den Geschmack unsers Baumeisters
betrifft, so können wir nicht sagen, dass er zu dem besten und edelsten gehörte. Sein Gebäude ist
plump, massig, reizlos und unangenehm dem Auge, das Harmonie und Adel der Form liebt. Ausser den
eben erwähnten Reminiscenzen sieht man noch in dem Hofe des Palastes frei stehende Säulen von der
bizarrsten und phantastischsten Form, die keine Aehnlichkeit mit irgend welchen, die wir in Europa
kennen, haben und merkwürdiger aber unerklärlicher Weise einigen Säulen an indischen Gebäuden
ähnlich sehen.

Wenn uns zur Erklärung dieser seltsamen Aehnlichkeit zwischen so entfernt liegenden Bauformen
eine Hypothese erlaubt wäre, so möchten wir annehmen, dass zur Zeit, als unser Lütticher Schloss
erbaut wurde, asiatische Waaren den nordischen Völkern Europas über Antwerpen auf portugiesischen
Schiffen, die von Indien kamen, zugeführt wurden. Der Handel tauschte dieselben gegen niederländische
Manufacturwaaren ein. Lüttich war damals durch seine Tücher, seine Eisenwaaren, seine Messer- und
Kupferschmiedwaaren in gutem Ruf. Vielleicht war unser Baumeister mit einem der portugiesischen
Seefahrer bekannt, der ein Liebhaber der Künste ihm von dem, was er in Indien gesehen, erzählte und
ihm eine Beschreibung von gewissen Säulen machte, die ihm an indischen Gebäuden aufgefallen waren.

Es ist besonders der Hof des Lütticher bischöflichen Schlosses, der die Aufmerksamkeit des Künst-
lers und Alterthumsfreundes auf sich zieht. Derselbe bildet ein Rechteck von 187^ rheinl. Fuss (59 M.)
Länge und 133£ Fuss (42 M.) Breite. Er ist von einem offenen Gange umgeben, der durch sieben und
fünfzig Säulen und drei Eckpfeiler gebildet wird, welche die Stützen von sechszig x4rcaden abgeben.
Dieser den Hof umgebende Gang hat gegen 18 Fuss (5 M. 60) Breite und über 20| Fuss (6 M. 50)
Höhe. Wir wollen uns hier nicht auf eine Beschreibung der Figuren einlassen, die die Rippen der ge-
wölbten Decke dieses Ganges bilden; aus dem Grundriss werden dieselben ersichtlich sein; nur so viel
wollen wir bemerken, dass die Rippengeflechte der drei Gewrölbe in den Ecken von einander verschieden
sind. Die Gewölbgurte dieses Ganges bilden nicht wie bei der Börse zu Antwerpen gedrückte Kreis-
bogen, sondern niedrige Spitzbogen, deren Centrum tief unter der Kämpferlinie liegt, was keine gute
Wirkung macht. Zur Linken unseres Grundrisses ist der Anfang der Gewölbrippen, die auf einem Consol
über dem Säulencapitell aufsetzen, angegeben. Zur Rechten des Grundrisses ist das Wappenschild des
Bauherrn zu sehen,, das aussen über den Arcaden des Hofes und in der Achse derselben angebracht ist.
Diese Wappenschilde waren gemalt. Leber dem Abacus der Säulen des Ganges erhebt sich an der
Aussenseite ein dünnes Säulchen, dessen Blätterknauf eine kleine Figur trägt. Unter den zierlichen
Fenstern des ersten Stockwerks, das über dem Gange zu ebener Erde liegt, sieht man welche mit dem
gedrückten Kreisbogen und welche mit dem gedrückten Spitzbogen oder Tudor-Bogen geschlossen. Der

*) Der Elisabeth-Styl ist eigentlich der Renaissance-Styl Englands. L. L.
Penkmäler der Baukunst. XXXVI. Lieferung.
 
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