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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0079
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©er bischöfliche Palast in Liittich,

Theil der Mauer zwischen diesen Fenstern und den Bogen der Arcaden des Hofes ist in gothischer Weise
mit Fensterblenden decorirt.

Wir gehen nicht in eine detaillirte Beschreibung der Säulen des Hofes ein, die Seiten füllen würde,
ohne dass man sie bei mangelnder Zeichnung vollkommen kennen lernte; nur so viel wollen wir sagen,
dass sie alle verschieden und anders gebildet sind. Sie haben grössten Theils eine den Balustern ähn-
liche Form, und sind theils mit den Blättern des Akanthus oder von Wasserpflanzen, mit grotesken
Köpfen und Masken verziert. In einigen ihrer Details ähneln sie den Säulenpiedestalen an dein nördlichen
Portal der Kathedrale von Chartres*), die die einzigen dieser Form sind, die wir in der Architectur des
Mittelalters kennen. Sie haben etwas von indischer Architectur, was man sich nicht erklären kann.*'"')

Das erste bischöfliche Schloss in. Lüttich war vom Bischof Notker 973 erbaut, und brannte mit der
Kathedrale St. Lambert 1185 ab. Unmittelbar nach dem Brande wieder erbaut brannte es noch einmal
im J. 1505 ab. Im Jahre 1508 legte Ewrard von der Marck, der fünfundfunfzigste Bischof Lüttichs, den
Grund zu dem jetzigen Schlosse, dessen Bau erst nach zwei und dreissig Jahren vollendet wurde.

Als Ewrard von der Marck den Bau begann war er in einem Alter, wo man grosse Unternehmungen
beginnt und die zu ihrer Durchführung nothwcndige Energie besitzt; er war damals erst sechs und dreissig
Jahr alt. Ewrard war ein Mann von Einsicht, ein leidenschaftlicher Liebhaber der Wissenschaften und
Künste und ein freigebiger Freund derer, die sie cultivirten. Hierin folgte er dem Beispiel seiner Zeit-
genossen Leo X und Franz I. Er berief den berühmten Erasmus nach Lüttich und lieh dem grossen
Lütticher Maler Lambert Sutermann, genannt Lambert Lombardos die Mittel zu einer Reise nach Italien,
um dort die Meisterwerke der grossen Maler zu studiren und sein Talent weiter auszubilden.

Es war ganz natürlich, dass ein Mann wie Ewrard von der Marck auch auf die Architectur seine
Aufmerksamkeit richtete. Er baute die Mauern Lüttichs und befestigte sie durch Bastionen, um die Stadt
vor fremden Einfällen zu sichern. Er gab der Kirche St. Paul ein schönes Portal, an dem man in der
Darstellung der Bekehrung des Apostels Petrus eine schöne Bildhauerarbeit sieht.

Es war in der Ordnung, dass ein prachtliebender Prälat auch an den Bau eines seiner würdigen
Wohnhauses dachte. Was davon noch übrig ist, lässt die Grösse und den Aufwand desselben ahnen.
Als die Königin Margarethe von Valois, die Gemahlin Heinrichs IV 1577 eine Reise in die Niederlande
machte und auch Lüttich besuchte, schrieb sie von dem bischöflichen Schlosse daselbst Folgendes:
„Der Bischof nahm mich, als ich mein Schiff verliess, auf und führte mich in sein Palais, wo er mir
seine Zimmer zur Wohnung einräumte. Dieses ist für ein Stadthaus das schönste und bequemste, das
man sehen kann; es hat mehrere schöne Fontainen, Gärten und Galerieen; Alles ist so mit Malereien,
Vergoldung und Marmor geschmückt, das man nichts Prächtigeres und Köstlicheres sehen kann.""'*)"

Wenn eine französische Fürstin, die den reichen Glanz in den Schlössern von Fontainebleau, von
Biois, von Amboise und Rambouillet gewohnt war, sich so entzückt über das'' Schloss des Bischofs von
Lüttich aussprechen konnte, so miiss dasselbe wahrlich etwas Ausserordentliches gewesen sein! Aber der
Reisende sucht heute leider nach dieser Pracht vergeblich. Von den schönen Gärten und Fontainen sieht
man nichts mehr, die Galerieen zeigen nichts mehr von Malereien, und die früheren Marmortäfelungen
sind verschwunden. Die schönen Galerieen werden heute zu Waarenlagern von Kaufleuten benutzt, in
die Zimmer des Bischof-Cardinais sind die Gerichte einbezögen, es sind darin Archive und sogar ein

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Weibergefängniss u. dgh m, eingerichtet. Die alte Facacle ist eben so verschwunden, die nach dem Platze
Saint-Lambert gelegene wurde 1734 nach einem grossen Brande dem Gebäude gegeben, das die ursprüng-
liche zerstört hatte. Der Cardinal Ewrard von der Marck starb am 18. März 1538, zwei Jahre vor der

vollständigen Vollendung des Schlosses, das er zu bauen begonnen.

*) M. s. eine Ansicht dieses Portals in Charles Wild's Werke: ,,Select Examples of architectural Grandeur in Belgium, Ger-
viany and France." London 1843.
**) Kannte vielleicht der Baumeister des Lütticher bischöflichen Palastes diese Piedestale an dem Portale der Kathedrale von

Chartres ? Ewrard von der Marck war von Ludwig XII Ziim Bischof von Chartres ernannt.
**) Nouvelle collection des memoires pour servir a Phistoire de France, depuis le XIIIe siecle jusqu'ä la flu du XVIII e ;
par Michaud et Poujoulat. Tome X, 1838, Seite 432, erste Spalte.

L i t e r a t u r.

1) Schayes, A. G. B., Essai sur l'arcbitecture ogivale cn Belgique. Brüssel, 18-10. 4. Mit Kupfern.

2) Select examples of architcctural Grandeur iu Belgium, Germany and France : a series of 24 sketches drawn by Ch. Wild. London, 1843. Fol.
 
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