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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0003
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Die Licftfrauenkirclie zu Trier.

Die Stadt Trier ist für die Geschichte der Baukunst des Mittelalters ein sehr wichtiges Lokal, hier
zeigt sich der spitzbogige Baustyl zuerst für Deutschland von französischem auf deutschen Boden über-
tragen. Doch erscheint dieser neue Baustyl hier nicht plötzlich, er erzieht sich gleichsam an der romani-
schen Baukunst Triers. Um das Ende der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts wurde das östliche
Chor des Domes neu erbaut, zwar noch im romanischen Style, aber schon polygonförmig mit noch unaus-
gebildeten Strebepfeilern an den Ecken dieses Polygons und von einem Sternengewölbe mit Gewölberippen
überdeckt; der Rundbogen ist zwar hier noch vorherrschend, doch kommt auch schon der Spitzbogen vor.
Der vollständige Ausbau dieses Chores ist wahrscheinlich erst gegen Ende des XII Jahrhunderts bewirkt worden.
Seit 1212 wurde am Kreuzgang der St. Matthiaskirche zu Trier gebaut; die LichtöfFnungen sind bei diesem
noch im Halbkreisbogen geschlossen, aber überall Strebepfeiler und das Gewölbe des Kreuzgangs erhebt
sich über den Halbkreis und bildet spitze Bogen. Cm gleiche Zeit oder nicht viel später muss auch der
Kreuzgang am Dom zu Trier gebaut worden sein; die LichtöfFnungen haben auch hier noch alle den runden
Bogen; das Gewölbe hat die Spitzbogenform und nur die Diagonalrippen bilden Halbkreise; die Gewölbe-
rippen sind im Ganzen schon im Style des Spitzbogenbaues profilirt. Im Jahre 1227 wird daselbst ein
bedeutenderes Bauwerk unternommen; die alte Liebfrauenkirche, die neben dem Dome stand, wie es auch in
vielen anderen Städten der Brauch war, war wegen Alters zusammengestürzt, wie wir aus einer bald anzu-
führenden Urkunde erfahren, an ihrer Statt ward eine neue begonnen. Diese gehört zu den ersten Bauten
des Spitzbogenstyls in Deutschland. Die triersche Liebfrauenkirche ist andererseits aber auch wegen ihres
Grundrisses sehr merkwürdig, fast einzig: aus der im Ganzen abgerundeten Grundform baut sich in dem
oberen Stockwerk die Kreuzform heraus, deren Mitte in der Durchschneidung der beiden Kreuzschenkel
sich als Thurm erhebt. Bei der Conception des Planes scheint der der Kirche Saint-Ived in Braine bei
Soissons ■') vorgeschwebt zu haben, die im Jahre 1216 eingeweiht wurde.

Der Bau der neuen Liebfrauenkirche wurde unter dem Erzbischof Theoderich II im Jahre 1227 be-
gonnen und gegen Ende des Jahres 1243 oder wie die sogleich anzuführende Urkunde zu bezeugen scheint,
auch erst im darauf folgenden Jahre unter Erzbischof Arnold II bis auf den Thurm vollendet.

Die Kosten wurden durch gemeinschaftliche Beiträge frommer Christen bestritten, doch mussten zur
Vollendung des Baues auch benachbarte Diözesen in Anspruch genommen werden. Dies beweist eine
Urkunde des kölnischen Erzbischofs Conrads von Hochsteden aus dem Jahre 1243 an die gesammte Geist-
lichkeit seines Sprengeis, worin es heisst: ^,Da die Kirche der heiligen Jungfrau Maria zu Trier, welche
das Haupt, die Mutter und die Vorsteherin aller Kirchen in der Trierschen Provinz ist, aus zu grossem
Alter durch sich selbst zusammengestürzt ist, und hierauf angefangen wurde von Neuem eine in schönem
und grossartigem Style gebaut zu werden, so befehlen wir, dass, da die eigenen Mittel nicht hinreichen,
die ankommenden Abgeordneten von Trier, um Geldbeiträge einzusammeln, gütig aufgenommen werden
Diese werden Reliquien besagter Kirche mitbringen, welche man mit feierlichem Glockengeläute u. s. w.
in Empfang nehmen soll."

Der künstliche Thurm der Liebfrauenkirche wurde, nach einer anderen Handschrift erst im Jahre 1492
fertig (turris Dedali artis elaboratä), im Jahre 1031 durch einen Orkan aber so beschädigt, dass man
genöthigt war, den hohen schlanken Thurm zum Theil abzutragen.

Das Baumaterial der Kirche ist verschieden. Die unteren Hauptheile des Portals bestehen aus einem
gelben Kalksteine mit zum Theil kristallinischer Textur und mit vielen klein zerriebenen Stücken von
Muscheln und anderen organischen Körpern; er heisst bei den Bauleuten Johannisbergerstein, und kömmt
von dem Mont-St. Jean bei Hayange südlich von Luxemburg. Im Allgemeinen ist aber der Bau aus einem
gelblich grauen und grauen Sandsteine ausgeführt, der wahrscheinlich der Lutzenburger Steinformation an-
gehört. Derselbe hat ein etwas feineres und gleichförmigeres Korn als der triersche rothe Sandstein, und
wurde desshalb als für feinere Arbeiten und Verzierungen mehr geeignet dem letzteren bei diesem Bau
vorgezogen.

Die Liebfrauenkirche zu Trier gehört ihrer Structur und ihrem Style nach fast ganz dem spitzbogigen
Baustyle an und bewahrt nur noch einige Rückerinnerungen an den Romanischen. Ueberall fanden die hochstre-
benden Formen, die schlanken Säulen und Säulenbündel Anwendung; alle Gewölbe, Gurtbogen und Fenster-

*) M. s. eine perspectivische Ansicht derselben in der Voyage pittoresque et romantique dans la France.

**) Im Originale: Conradus etc. — Cum ecclesia beate Marie Virginis gloriose maioris in Treueris, que caput, mater et
magistra est omnium ecclesiarum provincie Treuerensis, pre nimia vetustate corruerit per se ipsam,......etc.

Denkmäler der Baukunst, CXIV. Lieferung. Sieüfvaueuriv^e W Zfm. 1.
 
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