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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0108

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Halberstadt. Wolfenbüttel

dürfte, trotz der zurückgebliebenen Formen nicht vor dem zweiten Dezennium des 16. Jahr-
hunderts entstanden sein. Auf einen aus den Niederlanden eingewanderten Meister geht das
Stück, seiner ganzen Technik nach, keinesfalls zurück.

b) Wolfenbüttel

Die erste urkundliche Nachricht über einen im Dienste der Herzöge von Braunschweig-
Wolfenbüttel arbeitenden Teppichwirker datiert vom 30. August 1569.

Lorenz Schambs, zweifellos ein eingewanderter flämischer Meister, verpflichtet sich gegen-
über Herzog Julius (geb. 29. Juni 1528, Herzog seit 1568, gest. 13. Mai 1589) zunächst auf
ein Jahr, getreulich und mit Fleiß das Amt eines Teppichmachers zu versehen. Der Um-
fang des Schambsschen Betriebes ist durch die Tatsache gekennzeichnet, daß er nicht allein,
sondern mit einem Gehilfen (Knecht) und einem Jungen arbeitet3).

Das Atelier schließt vor 1572 seine Pforten; zum mindesten spricht hierfür die Tatsache,
daß Jost Bodt4) dem Herzog unter dem 27. März 1572 seine Dienste als Teppichmacher an-
bietet: „wie das ich eine lange Zeit meiner Kunst nach vonn Flandernn biß hiher gereiset
und gezogenn bin, damit ich dieselbe meine Kunst E. F. G. erklerenn vnd offenbarenn . . ."
Bodt sitzt in „Heinrichstat vor der vestung Wulfenbüttel" stark auf dem Trocknen und
bittet de- und wehmütig, über sein hervorragendes Können, das er eingehend erläutert und
anpreist, gnädigst zu verfügen. Herzog Julius scheint seinen Versicherungen keinen sonder-
lichen Glauben zu schenken; ein Anstellungsvertrag kommt nicht zustande.

Wesentlich interessanter ist die Gestalt des „Tappecier" Franz von der Rost, möglicher-
weise ein Mitglied der bekannten Brüsseler Wirkerfamilie van der Rost, die aus Glaubens-
gründen der Heimat den Rücken kehrt und nach Italien (Ferrara, Florenz)5) und Deutsch-
land auswandert. Der Meister ist identisch mit Franz van der Ruest, der um 1576 in Lüne-
burg tätig ist. Die Eingabe vom 4. Juni 1583 läßt darauf schließen, daß er bereits ein Jahr
lang in herzoglichen Diensten steht: „E. F. G. kann ich unangezeiget nicht lassen, daß
derselben Ich aufs Neu Dreizehenn stuck Teppichte vnnd 1 stuck Türkisch, wiederumb
nach vorzüglichem vlais Renovirt vnd außgebeßert habe . . .6). Der zur Diskussion stehende
Betrag von 400 Talern ist ungewöhnlich hoch, es muß sich um besonders umfangreiche
Arbeiten gehandelt haben, die dem Herzog zweifellos am Herzen lagen.

Erst mit dem Regierungsantritt (1589) des Herzogs Heinrich Julius (geb. 15. Okto-
ber 1564, gest. 20. Juli 1613) kommt Stetigkeit in den Wolfenbütteler Bildwirkereibetrieb.
Der neue Landesherr, durch glänzende Geistesgaben ausgezeichnet — er betätigt sich zu-
gleich als Baumeister, Jurist und Dichter —, ist ein Freund höfischen Prunkes. Ausgaben
und Wünsche steigen. 1590 tritt der Gründer der bedeutendsten Wolfenbütteler Manufak-
tur, Boldewin von Brüssel, in Erscheinung. Der Meister übt seit geraumer Zeit in Halber-
stadt seine Kunst, er bezeichnet sich in seinem Schreiben vom 20. April 1591 ausdrücklich
als „Teppichmacher und Burgher zu Halberstadt". Leider zeitigten die Archivforschungen
in Halberstadt nicht den geringsten Erfolg. Die Akten der in Frage kommenden Zeitspanne
sind nicht mehr erhalten oder unvollständig. Wahrscheinlich stand Boldewin von Brüssel
schon in Halberstadt in Verbindung mit Herzog Heinrich Julius, der bereits vor seinem
Regierungsantritt das Bistum Halberstadt musterhaft verwaltete.

Wie dem auch sei, der Ruf Meister Boldewins muß genügt haben, den Herzog zu veran-
lassen, am 14. September 1590 den Anstellungsvertrag zu unterzeichnen und erst zu Beginn
1593 die ausbedungenen Probearbeiten zu verlangen7). In der Berufungsurkunde wird Bol-
dewin von Brüssel als Teppich- und Schalunmacher verpflichtet. Schon die letztere Bezeich-
nung genügt zum Beweise, daß der Meister sich längere Zeit in Halberstadt — ob zuvor in
Braunschweig, dem Zentrum der Salunenmacherei? — aufgehalten haben muß, wahr-

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