Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0264

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
III. 18. Jahrhundert.

1. Warschau.

Um 1743 arbeitet der Franzose F. Glaize in Warschau. Die auf kirchliche Paramente ein-
gestellte Eigenart seines Betriebes läßt die Vermutung zu. daß er auf Einladung eines kunst-
liebenden Prälaten, wahrscheinlich des Krakauer Bischofs Andreas Stanislaus Kostka Za-
luski, in das Land kam —• ob aus Dresden? Schon Müntz20) kennt die gewirkten Kirchen-
gewänder in der Kathedrale zu Plock, er liest jedoch die Signatur falsch: Fait ä Varsovie,
en 1745. F. Sidire. Tatsächlich trägt der älteste gewirkte Chormantel der Kathedrale zu
Plock die Inschrift: Fait ä Varsovie. A. (ndreas) S. (tanislaus) K. (ostka) Z.(aluski) E.(pisco-
pus) G. (ulmensis) et P. (omesaniensis) A.(bbas) G (ommendatarius) C. (zerviniensis) et
P.(aradisiensis) S.(upremus) R.(egni) C.(ancellarius). En 1743. F.Glaize. Ein andererbringt
die Signatur GLAIZE A° D. 1748. Juljän Pagaczewski verfolgt eingehend die Spuren des
Glaizeschen Unternehmens21); er zählt die verschiedenen uns noch erhaltenen Paramente
(mit den Jahreszahlen 1745, 1746 und 1748, zum Teil undatiert) in den Kathedralen von
Plock (Abb. 204c), Krakau (Abb. 204a, b) und Nieboröw auf und entwickelt die von Glaize
verwandten Vorlagen. Die Art, in der der Meister arbeitet, beweist unzweideutig, daß sein
Unternehmen auf rein kaufmännischer Basis aufgezogen war. Sein Vorrat an Kartons ist
beschränkt. Als wichtigstes Modell dient ihm eine Stichvorlage des bekannten Antwerpener
Kruzifixus von Anton van Dyck, ein Motiv, das u. a. auch die Pariser Privatateliers der
Gobelins mehr als einmal begeisterte. Im übrigen hält sich Glaize nicht immer genau an
sein Vorbild; er wandelt den Christuskörper in seiner schmerzvollen Aufbäumung mehr
oder weniger ab, nicht immer zugunsten der Darstellung. In jedem Fall erscheint die van
Dycksche Vorlage im Spiegelbild. Kein Wunder! Meister Glaize war, wie alle seine Aubus-
soner Fachgenossen, Basselissier, d. h. Wirker am tieflitzigen Gezeug22).

Die Gestalt des Gekreuzigten wird von schmalen Leisten umrahmt, die ihre Motive zeit-
genössischen Spitzenmustern entnehmen, rechts und links von den Leidenswerkzeugen
Christi (Stab mit dem Essigschwamm, Rohr, Stauprute, Lanze, Geisel, Stange mit ange-
hängtem Feuerbecken) flankiert (Abb. 204a). Alle Stücke bis auf eins — Trauerkasel in der
Kathedrale Plock (Abb. 204 c): Totenköpfe mit gekreuzten Knochen zu Seiten und Füßen
des Gekreuzigten — bringen entweder die Initialen oder das Wappen des auftraggebenden
Bischofs Zaluski. Die Rückseiten der Kasein zeigen das Schweißtuch der Veronika mit dem
Haupte des Heilandes, darunter Dornenkrone, Nägel und Hahn Petri, rechts Leiter und
Kelch, links Säule, Zange, Hammer und Panzerhandschuhe (Abb. 204b). Das Gewirk —
Wolle und Seide — ist ziemlich fein, die Farbenskala zeigt helle, zarte und harmonische
Töne: Olivgrün, Tomatenrot, Weiß. Die Gestalt des Gekreuzigten, das Schweißtuch der
Veronika und die Marterwerkzeuge sind ausgesprochen naturalistisch gelöst.

Als zweiten Haupttyp — soweit Kasein in Frage kommen — verwertet Meister Glaize, in
Nachahmung gleichzeitiger Brokate, rein ornamentale Muster. Aus Vasen wachsen Nelken,
Granatäpfel zeigen ihr rotes Fleisch, Schwertlilien heben sich malerisch von dem satten
Grund, zartes Rankenwerk faßt als unterer Abschluß das blühende Bunt; die Spitzenleisten
bewahren auch hier ihre alte Anziehungskraft. Dalmatika und Kasel der Krakauer Kathe-
drale sind mit unzweifelhaftem Geschick und technischem Können durchgeführt.

250
 
Annotationen